Forschung ohne
Nutzerperspektive?

Laborforschung ist das eine - Nutzerbeteiligung das andere. Letztere ist aus Sicht protestierender Verbände im Auswahlverfahren für das neue Deutsche Forschungszentrum zu kurz gekommen. Foto: pixabay

Die Auswahl ist getroffen. Das Bundesforschungsministerium hat sechs Standorte auserkoren, die gemeinsam das neue Deutsche Zentrum für Psychische Gesundheit  (DZPG) bilden sollen. Sie hätten im Auswahlverfahren durch ihre „herausragende Forschung von internationaler Strahlkraft überzeugt“, teilte das Ministerium mit. Die Entscheidung sei in einem mehrstufigen Bewerbungsverfahren auf Basis der Empfehlungen zweier internationaler Expertengremien getroffen worden. 

Was und wie erforscht werden soll, ist derweil umstritten. Ebenso die Standortauswahl und das Auswahlverfahren an sich.  Acht Verbände von Betroffenen- und Angehörigenorganisationen protestierten gemeinsam in öffentlichen Briefen dagegen, dass partizipative Forschung unter Einbindung von Nutzern nicht in gefordertem Maße zum Zuge gekommen sei. Sie werfen den Verantwortlichen Verfahrensfehler vor und fordern einen Trialogischen Beirat, der die DZPG-Forschung auch aus Nutzerperspektive kritisch begleiten soll, sowie ein ergänzendes Netzwerk für partizipative Forschung. 

DGPPN: „Startschuss für Exzellenzforschung”

Die Fachgesellschaft DGPPN* äußerte sich positiv über die Zentrums-Entscheidung. Damit sei der „Startschuss für eine strukturell und nachhaltig geförderte Exzellenzforschung” gegeben worden. Spitzenforschung werde nachhaltig gefördert. Das sei „ein großer Erfolg, auch der jahrelangen Bemühungen der DGPPN“ , heißt es in einer Pressemitteilung. Fortan werde in großen, interdisziplinären Arbeitsgruppen mit Zentren in Berlin, Bochum, Jena, Mannheim, München und Tübingen Wissen um die Entstehung psychischer Erkrankungen gebündelt, der Wissenstransfer beschleunigt und für die translationale Forschung und somit direkt für Betroffene, Angehörige und die Gesellschaft verfügbar gemacht.

DGPPN-Präsident Prof. Thomas Pollmächer betonte aber auch, dass daneben auch die Forschung an andere Standorten weiter gefördert werden müsse. Und: „Die Vernetzung großer und erfolgreicher Standorte mit kollaborativen und partizipativen Forschungsansätzen ist das A und O einer ausgewogenen, inklusiven und umfassenden Forschung“, fügte er an. Zudem hob er die wichtige Rolle einer Einbeziehung von Betroffenen- und Angehörigenvertretern hervor.  Allerdings ohne konkret die Forderungen von deren Verbandsvertretern aufzugreifen.

Vorwurf: Gutachterauswahl „biologisch orientiert”

Ein Forschungszentrum für psychische Gesundheit – analog von bereits existierenden Zentren wie z.B. für Diabetes oder Lungenforschung – wird von der Psychiatrie seit Jahren gefordert. Ursprünglich schien es, als sei dafür bereits das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim „ausgeguckt“ worden. Nach Protesten von Seiten der Ordinarien anderer Forschungsstandorte wurden nach EPPENDORFER-Informationen dann doch mehrere Standorte ausgeschrieben. Ziel: Verschiedenheit, die sich ergänzen sollte. Auf Drängen von Betroffenen sowie der Aktion psychisch Kranke e.V.  wurde schließlich noch der Punkt Partizipation, also Teilhabe auch von Nutzern in die Ausschreibung aufgenommen. Das sei dann aber bei der Prüfung der Unterlagen der insgesamt  20 Standortbewerbungen nicht entsprechend abgefragt worden, so die Kritik.  Im Gutachter-Verfahren seien  „alle möglichen Varianten überwiegend aus der biologischen Forschung abgefragt“ worden, ein jedes Fehlen habe zu einem Punktabzug geführt, heißt es im offenen Brief an die zuständige Ministerin.  

Folge: Für die Verbände wichtige Bewerber – Hamburg und Leipzig – gingen leer aus. Hamburg etwa sei als Standort mit den meisten und längsten Erfahrungen mit Trialog, partizipativer Forschung und Peer-Support   „aufgrund einer einzigen sehr negativen Bewertung“ ausgeschieden.  „In unseren Augen sind das Verfahrensfehler, die mit der international inzwischen üblichen Beteiligung von Betroffenen-  und Angehörigenverbänden so nicht passiert wären -­ mit gravierenden, langfristigen Folgen: Wir fürchten um die Chance auf ein ,Forschungszentrum der Vielfalt”, so die Nutzerverbände. 

Und wie geht es nun weiter? Erstmal fließen jetzt 500.000 Euro, damit die ausgewählten Standorte  innerhalb von sechs Monaten ein Gesamtkonzept für das neue Zentrum erarbeiten. Und das wird dann nochmal durch ein internationales Expertengremium geprüft … (hin)

*Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)