In diesem Jahr wird die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) 50 Jahre alt – die große Jubiläumsfeier musste aber coronabedingt auf 2021 verschoben werden. Das bewegte halbe Jahrhundert wurde immerhin vom 12. bis 14. November im Rahmen eines dreitägigen Sozialpsychiatrischen Fachgesprächs und mit einem Jubiläumsheft der „Sozialen Psychiatrie“ gewürdigt. Der EPPENDORFER gratuliert mit einem kleinen Rückblick auf die Geschichte der Fachgesellschaft.
Alles begann im Jahr 1970. Im April sorgte an der Universität Hamburg ein Sozialpsychiatrischer Kongress unter der Leitung des Psychiaters und Soziologen Prof. Dr. Klaus Dörner und der Psychologin Ursula Plog, in dem es um die „Rückkehr der psychisch Kranken in die Gesellschaft“ ging, für Aufbruchstimmung. Kurz darauf schlossen sich MitarbeiterInnen verschiedenster Berufsgruppen nach ersten Treffen im „Mannheimer-Kreis“ zur „Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie e.V.“ zusammen.
Das theoretische und praktische Wissen lieferten Dörner und Plog mit ihrem Lehrbuch „Irren ist menschlich“. Es wies den Weg zu einem respektvollen Miteinander von Therapeuten und Patienten und wurde ein Bestseller mit Wirkung weit über die Psychiatrie hinaus. Ein weiterer Mitgründer, der Heidelberger Psychiater Dr. Niels Pörksen, warb mit seinem Buch „Kommunale Psychiatrie“ für die Verbindung von Sozialpsychiatrie und Gemeinwesenarbeit. Er hatte dies in den USA kennen gelernt und in Mannheim erfolgreich praktiziert.
Psychiatrie-Enquete
Ein Jahr später gab der Bundestag die Psychiatrie-Enquete in Auftrag. Bei dessen Vorarbeiten war bereits ein Bündnis zwischen Politikern und politisch aktiven Psychiatern entstanden, welches 1971 zur Gründung der „Aktion psychisch Kranke e.V.“ führte. Sie sollte und soll bis heute auf eine grundlegende Reform der Versorgung psychisch Kranker in der Bundesrepublik hinwirken. Die DGSP stellte währenddessen auf allen Ebenen eine kritische Öffentlichkeit her, sehr zum Verdruss derer, die die alten Anstalten „im Interesse der chronisch Kranken, die doch draußen keine Chance haben“, um jeden Preis erhalten wollten.
Inhumane Anstaltspsychiatrie
1974 wurden die ersten Landesverbände gegründet und 1975 erhielt die DGSP ihre erste hauptamtliche Geschäftsstelle in Wunstorf. Im gleichen Jahr folgte die Gründung des Dachverbands für Gemeindepsychiatrie. 1975 wurde auch die Psychiatrie-Enquete veröffentlicht, die die inhumane Anstaltspsychiatrie anprangerte. Eine logische Forderung daraus war die nach der Auflösung aller psychiatrischen Großanstalten auf der DGSP-Jahrestagung in Freiburg. Mit einer Sternfahrt nach Bonn wurde dieser Forderung 1980 Nachdruck verliehen.
Ein großes Verdienst der DGSP ist es, die Beteiligung der deutschen Psychiatrie an den Euthanasie-Verbrechen der Nazis erforscht zu haben. 1979 erschien die von Klaus Dörner geschriebene DGSP-Denkschrift „Holocaust und die Psychiatrie“. Seither klärt die DGSP unermüdlich über die Medizinverbrechen im 3. Reich auf, auch über Veröffentlichungen im von Dörner, Plog, Asmus Finzen und Hilde Schädle-Deininger 1978 gegründeten Psychiatrie Verlag. Die DGSP ist noch heute Mitgesellschafter des Verlages, der auch das PsychiatrieNetz betreibt.
Erster Trialog 1989
Es ist vieles in den 50 Jahren von der DGSP initiiert worden, was heute nicht mehr wegzudenken ist. 1978 begann der Aufbau eines Fort- und Weiterbildungsangebots der DGSP, und 1989 startete mit einem ersten Psychoseseminar mit Dorothea Buck und Thomas Bock der erste Trialog.
Unvergessen die DGSP-Hilfsaktion mit Spenden in Millionenhöhe für die rumänischen Kinderheime und der Psychiatrie-Weltkongress 1994 in Hamburg mit 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, der von der DGSP mitveranstaltet wurde. 2005 fanden erste EX-IN-Kurse in Bremen und Hamburg statt, und eine „Förderstelle für unabhängige Beschwerdestellen in der Psychiatrie“ wurde eingeführt.
Unermüdlich bringen sich die DGSP-Mitglieder – SozialarbeiterInnen, Pflegekräfte, PsychologInnen und ÄrztInnen – in die Diskussionen für eine Verbesserung der Situation psychisch erkrankter Menschen ein, deren Bedürfnisse und Wünsche immer im Mittelpunkt stehen. Dabei beziehen sie klar Stellung – ob für die Integrierte Versorgung oder gegen die Ökonomisierung der Psychiatrie. 2012 hieß es bei der Debatte um die Personalsituation in der stationären Psychiatrie „PEPP stoppen“ – das Pauschalierende Entgeltsystem Psychiatrie und Psychosomatik wurde als eine klare Verschlechterung der Versorgung psychisch Kranker gesehen.
Über 8000 Menschen – Fachkräfte, Angehörige, Patienten, engagierte Bürger – nahmen 1980 an einer Sternfahrt nach Bonn teil, zu der die DGSP aufgerufen hatte. „Löst die Anstalten auf“ lautete die Parole. Prof. Dr. Klaus Dörner prangerte die inhumanen Zustände auf den Stationen an, in denen die psychisch Kranken ohne eine Beschäftigung und menschliche Zuwendung dahinvegetierten. Großes Vorbild für die DemonstrantInnen war Italien, wo es dem Psychiater Franco Basaglia gelang, den Gesetzgeber von einer Schließung der Anstalten zu überzeugen.
(frg)
Einen Eigenbericht des Verbands über ihren Online-Festakt lesen Sie hier: