Suizid und Selbstbestimmung

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss sich der Bundestag erneut mit dem Thema Suizidassistenz auseinandersetzen. Foto: Archiv/Hinrichs

Der Paragraph 217 im Strafgesetzbuch ist extrem umstritten. Im Jahr 2015 ist die geschäftsmäßige Sterbehilfe verboten worden, im Februar 2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot wieder aufgehoben. Nun strebt der Bundesgesundheitsminister eine Neuregelung an. Doch wie können ein selbstbestimmtes Sterben garantiert und gleichzeitig die Betroffenen vor sich selbst geschützt werden? fragt die Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) in einer Erklärung – und fordert die Vorhaltung psychotherapeutischer Diagnostik und spezieller Beratungen.

Jeder habe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben. Auf dieser Grundlage hat das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 entschieden, dass es kein generelles Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe geben darf. Die Betroffenen sollen die Chance haben, eine Suizidassistenz zu bekommen – sofern die Entscheidung dem freien Willen entspringt. „Doch es ist wichtig zu sehen, wie komplex die Bedingungen für eine Willensbildung sind“, betont der Diplom-Psychologe und Psychoanalytiker Georg Schäfer, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). „Gerade Ausnahmesituationen sind im besonderen Maße von starken Emotionen begleitet und auch unbewusste Inhalte wirken auf Entscheidungen ein.“ Die DGPT wünscht sich deshalb, dass bei einer Neuregelung des Paragraphen 217 psychotherapeutische Diagnostik und psychosoziale Beratungen der Suizidhilfe vorgeschaltet sind.

„Jede Entscheidung ist durch Beziehungs- und soziale Erfahrungen sowie verinnerlichte gesellschaftliche Werte und Zuschreibungen beeinflusst“, betont der Psychoanalytiker Schäfer. So kann das Gefühl, anderen nur zur Last zu fallen, auf einen verinnerlichten Leistungsgedanken zurückgehen. Der Wunsch, das eigene Leben zu beenden, sei nicht losgelöst von der Gesellschaft zu sehen und die Gesellschaft stehe deshalb in der Pflicht, Unterstützung zu geben. „Die Erfahrungen aus der psychotherapeutischen Praxis zeigen, dass Suizidwillige nicht ihr eigenes Leben beenden, sondern unerträgliche Zustände überwinden wollen – seien es unerträgliche Gefühle, unerträgliche Schmerzen oder auch die Angst davor“, betont Schäfer. 

Deshalb plädiert die DGPT dafür, jede Form von Suizidassistenz an folgende Auflagen zu knüpfen: Zum einen sollten zwei Fachpersonen unabhängig voneinander eine psychische Erkrankung ausschließen. „Eine zusätzliche tiefenpsychologische Diagnostik kann sinnvoll sein, da häufig unbewusste Inhalte hinter einer Entscheidung stehen“, sagt der Vorsitzende der DGPT. Zusätzlich sollte jede und jeder Suizidwillige mehrere psychosoziale und gegebenenfalls palliativmedizinische Beratungen in Anspruch nehmen, wenn möglich zusammen mit den Angehörigen. „Einer tiefen Hoffnungslosigkeit, die den freien Willen einschränkt, kann damit unter Umständen begegnet und neue Erfahrungen und Denkweisen vermittelt werden“, so Schäfer. (idw/rd)

Die vollständige Stellungnahme der DGPT zur Neuregelung der Suizidassistenz findet sich hier: https://dgpt.de/artikel/stellungnahme-der-dgpt-zur-moeglichen-neuregelung-der-su…

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