Safewards:
Sicherer auf Station

Das Safewards-Konzept soll die Kommunikation auf Station verbessern und Konflikte reduzieren. Foto: Kellyn Bowler/Unsplash

Aggressionen, Selbstverletzungen, Suizidversuche oder Entweichungen rufen auf psychiatrischen Stationen Gegenmaßnahmen wie Fixierungen, Zwangsmedikation oder Isolierungen hervor. Das Safewards-Modell, das in immer mehr Kliniken implementiert wird, bietet Interventionen an, um Konflikte dieser Art zu reduzieren. Prof. Dr. Michael Löhr, der den Lehrstuhl für psychiatrische Pflege an der Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld hat, stellte das Modelleinmal mehrim Rahmen eines Symposiums „Akutpsychiatrie und Psychosen” an der Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll vor.

Gewalt ist ein großes Thema in der Psychiatrie. Dabei sei diese oftmals zu vermeiden, so Michael Löhr. Zu Gewalt komme es häufig in Aufnahmesituationen, bei einer unfreiwilligen Aufnahme und bei Intoxikationen.

Männliche Patienten neigen eher zur Gewalt, auch Patienten mit einer Psychose oder Gewalterfahrung in der Vergangenheit.

Prof. Dr. Michael Löhr, Fachhochschule der Diakonie Bielefeld

Die Gewalt sinke, „wenn eine wertorientierte und nicht regelorientierte Haltung beim Team besteht, Patienten positiv gewürdigt werden und eine Wertlegung auf Prävention besteht.“ Kurz: Eine gute Stationsatmosphäre führt zu weniger Konflikten und erhöht damit auch die Sicherheit der Patienten und der Mitarbeiter.

Wie entstehen Konflikte?

Konflikte entstünden häufig immer da, wo Menschen miteinander in Beziehung seien, erläuterte Löhr: vor der geschlossenen Stationstür, im Stationszimmer oder im Aufenthaltsraum (Patient vs Patient). Das Safewards-Modell, so Löhr, sei ein Erklärungsmodell für die Entstehung von Konflikten und deren Reduktion. Konflikte könnten ihren Ursprung im Stationsteam oder in internen Strukturen haben, in der räumlichen Umgebung, in Faktoren außerhalb der Klinik (Frau weg, Arbeitsplatz weg), in der Patientengruppe selbst, in den Eigenschaften der Patienten und den regulatorischen Rahmenbedingungen.

Diese konfliktauslösenden Einflüsse müssten reduziert werden. Es gelte, die Verbindung zwischen Krisenherd und Konflikt zu unterbrechen. Gut wäre es, wenn beim Patienten soviel Kontrolle wie möglich bleibe. Denn es habe sich gezeigt, dass es auf Stationen mit einer hohen Aggressionsrate auch eine hohe Anzahl an Entweichungen, Zwangsmedikationen und 1:1-Betreuungen gebe.

Zehn mögliche Interventionen

Das vereinfachte Safewards-Modell fasst unter dem Begriff der Mitarbeitermodifikatoren die Eigenschaften, Handlungsweisen und Haltungen der Mitarbeitenden und Teams zusammen, die die Häufigkeit von herausfordernden Situationen und Konflikteindämmungsmaßnahmen beeinflussen können. Die Patientenmodifikatoren sind Interaktionen zwischen den Patienten, die Einfluss auf Konflikte und Eindämmungsmaßnahmen haben, und auf die die Mitarbeitenden sehr wahrscheinlich reagieren werden. Das Modell zeige, so Löhr, dass psychiatrisch Tätige die Häufigkeit von Konflikten und Eindämmungsmaßnahmen auf jeder Ebene beeinflussen können.

Das Safewards-Modell umfasst zehn Interventionen, die eine Reduktion von Konflikten und Eindämmungsmaßnahmen mit sich bringen.

Gegenseitige Erwartungen klären: Patienten in der Akutpsychiatrie sind häufig unsicher. Ein Grund ist, dass sie häufig nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Auch verstehen sie manche Regeln (Fernsehzeiten!) nicht. Die Stationsteams sollten deshalb die Stationsregeln auf ihre Sinnhaftigkeit überprüfen. Sind diese unverzichtbar, sollten die Mitarbeiter diese Regeln mit den Patienten diskutieren und gegenseitige Erwartungen klären. Eine Erwartung wäre etwa der respektvolle Umgang.

Eine weitere Intervention ist die Verständnisvolle Kommunikation: „Ermutigen und Loben“ stehen hier im Zentrum. Die Mitarbeiter werden sensibilisiert, immer respektvoll und höflich zu sein, z.B. die Bitte eines Patienten, wenn notwendig, in angemessener Art abzulehnen. Mitarbeiter sollen sich untereinander immer wieder daran erinnern. Dazu dienen Postkarten mit speziellen Hinweisen und Botschaften, „grüne und rote Karten“, die sich gezeigt werden und die „Botschaft des Tages“, die im Stationszimmer ausgehängt und regelmäßig getauscht wird.

Eine Deeskalierende Gesprächsführung ist ein weiterer Punkt. Die Mitarbeiter sollten frühzeitig eine verbal eskalierende Situation erkennen und geschult werden, wie diese entspannt werden kann. Auch Patienten sollten darüber aufgeklärt werden.

Um zu einer Positiven Kommunikation zu kommen, sollten die Mitarbeiter, so Löhr, sich immer wieder überprüfen, ob man nicht etwas Positives über den Patienten sagen könne. So vermeide man ein negatives Bild von auch schwierigen Patienten. Wenn Patienten unerfreuliche Nachrichten bekämen, sei präventiv eine Unterstützung bei unerfreulichen Nachrichten (Trennung vom Partner, Verlust der Wohnung) sinnvoll. Wisse man bereits vorher von der unerfreulichen Nachricht, könne man den Patienten darauf vorbereiten. Deshalb sollte im Team täglich über anstehende schlechte Nachrichten gesprochen werden.


Wichtig für ein positives Stationsklima: Gegenseitiges Kennenlernen. Wenn man ein paar Infos übereinander habe, etwas über die Biografie oder Hobbys des anderen wisse, gebe es Ankerpunkte für Gespräche. Das Wissen über den Patienten sollte im Kollegenkreis geteilt werden, so Löhr, so dass alle die Möglichkeit haben, einen guten Kontakt aufzubauen. Auch Patienten sollten etwas über das Personal auf der Station wissen. Vielleicht ergäben sich dann Gesprächsthemen über gemeinsame Interessen.

Die Gemeinsame Unterstützungskonferenz ist eine freiwillige Besprechung mit allen Patienten und Mitarbeitern. In der Danksagungsrunde, der Nachrichtenrunde, der Vorschlagsrunde (Vorschläge, wie man in den nächsten Tagen gut miteinander auskommen kann) und der Wünsche- und Angebotsrunde (hier kann jeder sagen, welche Hilfe er von der Stationsgemeinschaft wünscht, andere können anbieten, diesen Wunsch zu erfüllen) können alle zusammenwachsen. Bei unruhigen Patienten sollten Methoden zur Beruhigung wie etwa Aromaöle oder Entspannungstees eingesetzt werden. Hier heißt es, für jeden Patienten individuell das Passende zu finden.

Sicherheit geben ist der vorletzte Punkt auf der Interventionsliste: Bei angstauslösenden Situationen soll verstärkt mit den Patienten gesprochen und Sicherheit ausgestrahlt werden.

Und schließlich die Entlassnachricht: Mit dieser Intervention möchte man den Patienten Hoffnung vermitteln. Es geht darum, ihnen den Zweck und Nutzen des stationären Aufenthalts zu veranschaulichen. Am Tag der Entlassung werden die Patienten aufgefordert, einen positiven und nützlichen Rat für Patienten, die dableiben, auf eine Karte zu schreiben. Die Karten werden dann am Schwarzen Brett oder an anderen öffentlichen Stellen ausgehängt. Bäume sind eine beliebte Metapher der Hoffnung, denn in jedem Frühling erwachen sie mit dem Austreiben der Blätter zu neuem Leben.

Nach einer Studie von Len Bowers, der federführend das Modell am Institute for Psychiatry in London mitentwickelte, konnten Konflikte und Eindämmungsmaßnahmen um 15 bzw. 23 Prozent unter Safewards reduziert werden, betonte Löhr. Die Isolierungen gingen zurück, Zwangsmaßnahmen sanken, die Arbeitszufriedenheit und das Sicherheitserleben stiegen, das Stationsklima verbesserte sich. Löhr: „Bei einer Implementierung des Modells auf Station muss das gesamte Team geschult werden. Es ist vor allem Arbeit an den Mitarbeitern.“


Michael Freitag

Aus: Eppendorfer 1 /2019