Der Göttinger Angstforscher Borwin Bandelow hält die Angst vieler Menschen vor einer Eskalation des Krieges in der Ukraine und einem Übergreifen auf Deutschland für äußerst berechtigt. Vielen Menschen und auch ihm selbst scheine die deutsche Politik in einem „furchtbaren Dilemma“ zu stecken, sagte Bandelow in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Wie sich die Bundesregierung auch entscheide – für oder gegen Waffenlieferungen – die Bedrohung durch Russland bleibe bestehen.
Hinzu komme, dass der russische Präsident Wladimir Putin aus psychiatrischer Sicht offensichtlich ein „maligner“, also ein böser Narzisst sei. „Er würde, wenn er untergeht, am liebsten das ganze Volk mitnehmen.“ Es sei unvorstellbar, dass ein solcher Mensch sich freiwillig zurückzieht und Fehler eingesteht. „Das wird nicht passieren. Und das macht auch mir als Psychiater Angst.“ Auch Sendungen im russischen Staatsfernsehen, in denen offen über Atombombenabwürfe auf Berlin oder Paris spekuliert werde, ängstigten die Menschen und auch ihn selbst.
„Offensichtlich ein ,maligner’, also ein böser Narzisst”
Die Deutschen und die Europäer würden vermutlich noch Monate und Jahre mit dieser Angst leben müssen. Der Psychiater erinnerte daran, dass viele Bürger auch während des Kalten Krieges mit der Sowjetunion lange Zeit Angst vor einem Atombombenabwurf hatten. Ein Rezept für einen guten Umgang mit dieser Angst hat er nicht. „Wir müssen sie wohl aushalten.“ Allerdings trete bereits nach wenigen Wochen ein gewisser Gewöhnungseffekt ein. Das betreffe auch die Menschen in der Ukraine selbst, die trotz Bombenalarm und ständiger Bedrohung vielfach ihr Alltagsleben wieder aufgenommen hätten.
„Keine gute Idee, sich von Nachrichten aus dem Krieg abzuschotten”
Er halte es für keine gute Idee, sich von Nachrichten aus dem Krieg abzuschotten, betonte Bandelow. Studien belegten, dass viele und detaillierte Informationen den Menschen eher helfen, mit ihrer Angst zu leben. Deshalb könne auch eine an den Tatsachen orientierte und auch kontroverse Medienberichterstattung eher zur Angstbewältigung beitragen, als dass sie Ängste schüre. „Die Menschen wollen ehrliche und offene Diskussion hören.“
Oft werde behauptet, dass sich vor allem alte Menschen, die noch den Zweiten Weltkrieg erlebt haben, vor einem erneuten Krieg fürchten. Dafür gebe es jedoch keine Belege. Ängste nähmen im Alter eher ab. „Da kommt uns ein biologischer Aspekt zu Hilfe“, erläuterte der Experte. Die Strukturen im Gehirn, die für das Angstempfinden zuständig seien, nutzten sich im Laufe des Lebens ab. „Das macht das Alter erträglicher.“ Umfragen hätten gezeigt, dass sich sowohl während der Corona-Pandemie als auch jetzt während des Ukrainekrieges vor allem die 30- bis 40-Jährigen fürchteten.
epd