Angehörige
unter Druck

Nicht nur wenn das Gesundheitssystem an seine Grenzen stößt, kommt es auf die Angehörigen an. Foto: Mason Hassoun/Unsplash

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie betreffen nahezu alle Lebensbereiche und vor allem auch das Gesundheitssystem. Dass darunter gerade auch psychisch Erkrankte und ihre Angehörigen leiden müssen, darauf weist der Landesverband Hamburg der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen jetzt in einem Offenen Brief hin.

Flächendeckend verhängte Besuchsverbote für Kliniken seien demnach ebenso ein Problem wie pandemiebedingt gestrichene Ausgänge für PatientInnen. Der persönliche Kontakt zu Angehörigen werde damit unmöglich. Aber auch im ambulanten Bereich finde nur noch eine reduzierte Versorgung statt: Gruppentherapien entfielen, Tageskliniken würden geschlossen, PatientInnen entlassen und aufsuchende Betreuung finde nicht mehr statt, kritisiert der Verband. Die Folgen seien enorm:

„Uns werden die Auswirkungen auf die erkrankten Menschen berichtet: Vielfach entwickeln oder verstärken sich Ängste, Angst vor Ansteckung, allgemeine Daseinsängste, wir hören von Verschlimmerung der Erkrankung, von der Notwendigkeit, die Medikation zu erhöhen, sogar von akuten Krankheitsschüben mit notfallmäßiger Klinikeinweisung. Ganz besonders leiden viele Menschen unter der erzwungenen Isolierung und Vereinsamung. Besonders gravierend ist es, wenn eine WG mit psychisch erkrankten Menschen in Quarantäne gehen muss und keine Außenkontakte haben darf.“

Aus dem Offenen Brief des Landesverbandes Hamburg der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen

In einer Umfrage des Hamburger Angehörigenverbandes berichten Angehörige, wie sie versuchen, die erkrankten Familienmitglieder zu unterstützen:

„Sie besuchen sie vermehrt, soweit es trotz der Coronamaßnahmen möglich ist, halten verstärkt telefonischen Kontakt, nehmen teilweise sogar erwachsene Kinder wieder bei sich auf, unterstützen bei der Alltagsbewältigung, begleiten zu Ärzten. Angehörige sind vielfach selbst von den wirtschaftlichen Folgen der Maßnahme, von eigenen Ängsten um ihre Gesundheit oder die Zukunft betroffen und müssen mit zuvor unbekannten Sorgen zurechtkommen. In dieser Situation versuchen sie dennoch, ihren erkrankten Familienmitglieder mehr Hilfe und Unterstützung zukommen zu lassen.“

Aus dem Offenen Brief des Landesverbandes Hamburg der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen

Weil in Zeiten der Corona-Pandemie die Familien verstärkt einspringen und damit das Gesundheitssystem entlasten, fordert der Verband eine stärkere Einbeziehung und Wertschätzung der Angehörigen:

„ Die Coronapandemie zeigt uns deutlich Grenzen der professionellen Hilfesysteme, nicht nur, aber ganz besonders auch in der Psychiatrie. Dies gemahnt die professionell Tätigen zur Bescheidenheit und fordert von ihnen die Anerkennung des familiären Hilfesystems. Angehörige wollen nicht der Notnagel, die Reservetruppe sein, deren Dienste in Notsituationen, wenn sich niemand sonst kümmern kann, stillschweigend und selbstverständlich zur Verfügung gestellt werden. Angehörige fordern die Anerkennung des familiären Hilfesystems als das vermutlich größte Hilfesystem überhaupt. Angehörige fordern die Bereitschaft, dies System regelhaft zu unterstützen und mit ihm zusammen zu arbeiten, auch in normalen Zeiten. Angehörige fordern Wertschätzung für sich und ihre Leistungen.“

Aus dem Offenen Brief des Landesverbandes Hamburg der Angehörigen psychisch erkrankter Menschen