Frühe Behandlung,
bessere Prognose

Ein Teil der Lübecker Universitätspsychiatrie ist in diesem Altbau beheimatet. Foto: UKSH

Am 1. März stellt sich die neue Lübecker Ambulanz zur Früherkennung von Psychosen mit Namen BEATS mit einem Symposium vor (s. Flyer unten). BEATS steht für: Baltic Early Treatment Service. Das Angebot richtet sich an 15- bis 24jährige Menschen. Der EPPENDORFER berichtete in seiner Printausgabe 5/22 im Rahmen des unten stehenden Artikels über deren Arbeit.

Je früher eine beginnende Psychose erkannt und behandelt wird, desto besser ist die Prognose, auch wegen der sozialen Auswirkungen. Ziel von Früherkennung ist, den Verlauf positiv zu beeinflussen bzw. den Ausbruch einer schweren Episode möglichst sogar zu verhindern sowie einschneidenden Erlebnissen wie Zwangsmaßnahmen oder geschlossene Unterbringung als Erstkontakt mit der Psychiatrie vorzubeugen. Vor diesem Hintergrund schreiben sich immer mehr Psychiatrien die Früherkennung als Schwerpunkt auf die Fahnen. Auch die Unipsychiatrie Lübeck hat an der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) eine solche Spezialsprechstunde für Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 35 aufgebaut. Die Besonderheit in Lübeck: Das BEATS (Baltic Early Treatment Service) wird in enger Zusammenarbeit mit JuLe (Fachklinik für Junges Leben), der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Vorwerker Diakonie in Lübeck, geführt.   Beide Kliniken teilen sich Diagnostik und Behandlung auf: „So, dass die Patienten im Transitionsalter genau da abgeholt werden, wo sie stehen“, so der Ärztliche Direktor Prof. Dr. Stefan Borgwardt, der die Früherkennung psychischer Störungen als Forschungsschwerpunkt mitbrachte, als er 2019 von Basel nach Lübeck wechselte.

Oft sind die ersten Anzeichen unspezifisch. So wie bei dem 16 Jahre alten Jungen, den die Leiterin der Sprechstunde, Prof. Dr. med. Christina Andreou, als Fallbeispiel nennt: Er konsumierte viel Cannabis und wurde von den Eltern in die Sprechstunde gebracht, weil sie sich wegen seiner Rückzugstendenzen Sorgen machten und seine Leistungen in der Schule eingebrochen waren. Er selbst berichtete, dass er Angst hat, weil er nachts manchmal Gestalten sieht, wobei er genau weiß, dass es die gar nicht geben kann. Der Realitätsbezug ist also noch intakt, die Symptome aber verursachen Leiden. „Oft reicht es, zu erklären, wie solche Erfahrungen zustande kommen, um den Stress zu reduzieren, den diese verursachen.“ Dazu könne man Bewältigungsstrategien üben und an die Hand geben wie: die Augen auf- und zumachen oder Ablenkung. Zugleich werde man die komorbiden Störungen wie häufig Depression und Substanzkonsum behandeln, erklärt Christina Andreou. Sehr viele Fälle würden ähnlich verlaufen und gut ausgehen. 

Vieles ist in dem Alter schwer einzuschätzen

Aktuell können Termine innerhalb von ein bis zwei Wochen angeboten werden.  Wenn schon eine – nur noch nicht diagnostizierte und behandelte – Psychose vorhanden ist, wird eine Psychosebehandlung eingeleitet. Bei unspezifischen Symptomen werden die Risiken für eine Psychose eingeschätzt und mittels umfangreicher Diagnostik (z.B. neuropsychologische Untersuchungen, MRT) wird der Unterstützungsbedarf umfassend geklärt. Zur Psychose-Hochrisikogruppe werden PatientInnen gezählt, bei denen kurz anhaltende, aber spontan wieder zurückgehende psychotische Symptome („brief limited intermittent psychotic symptoms“) wie Halluzinationen auftreten, oder solche, die, wie im obigen Beispiel, leicht ausgeprägte psychotische Symptome mit intaktem Realitätsbezug zeigen. Außerdem solche Klienten, bei denen ein genetisches Risiko mit einem schulischen Leistungsknick einhergeht. 

Von den Hochrisikopatienten entwickelt nur ein Drittel eine psychotische Episode

Vieles sei diagnostisch schwer einzuschätzen in dem Alter, so Borgwardt. „Manche, die kommen, wurden mit 14 so eingeschätzt, mit 16 so und mit 18 wieder anders. Wir versuchen, das Geschehen zu charakterisieren, den Verlauf zu beobachten und zu beeinflussen.“ Vorsicht ist dabei angebracht. Denn: Von den Hochrisikopatienten entwickeln nur ein Drittel tatsächlich eine psychotische Episode, andere bleiben oft jahrelang in einem unspezifischen Risikostatus oder müssen wegen einer anderen psychischen Erkrankung behandelt werden. Einige gesunden ganz. „Es ist kein einfacher Spagat, Versorgung und Behandlung sicherzustellen ohne die Patienten unnötigerweise zu psychiatrisieren“, macht Prof. Andreou die Gratwanderung deutlich. Einige Symptome gehörten auch zur Adoleszenz dazu und störten die PatientInnen mitunter auch gar nicht.  Und selbst bei klarer familiärer Vorbelastung – bei zwei psychosekranken Elternteilen – liege die Wahrscheinlichkeit, eine Psychose zu entwickeln, „nur“ bei 40 Prozent. 

Was sind die frühesten Auffälligkeiten, bei denen die Alarmglocken schrillen sollten? Es starte oft mit sozialem Rückzug, so Prof. Andreou, ferner könnten auch depressive Symptome oder Angst zu den Vorboten zählen. Auch eine Verlangsamung von Denken und Sprache könne vorkommen. Losgehen könne es auch schon mit schlechter Konzentrationsfähigkeit und Schlafstörungen. Diese sind allerdings alle sehr unspezifische Symptome und sprechen von allein nicht für ein Psychoserisiko. Klarer in die Richtung gehen Wesensveränderung oder ungewöhnliche Verhaltensweisen sowie eine leichte Paranoia, Misstrauen. 

Vorbeugende Antipsychotikagabe wird sehr kritisch gesehen

In den USA würden auch Hochrisikopatienten vorbeugend Antipsychotika verabreicht, so Prof. Dr. Stefan Borgwardt. Das werde hierzulande sehr kritisch gesehen, da ja nur ein Drittel tatsächlich eine Psychose entwickelt.  Gemäß der Behandlungsleitlinien sei dies auch deshalb nicht die Behandlung erster Wahl, da weniger eingreifende Methoden genauso hilfreich seien, so Prof. Christina Andreou. Zum Einsatz kommen v.a. kognitive Verhaltenstherapie und psychosoziale Hilfen. In Planung sind zudem spezifische Gruppentherapie-Angebote. Auch Medikamente wie Antidepressiva oder Beruhigungsmittel werden bei Bedarf verabreicht.  

Die Lübecker Früherkennungs-Sprechstunde ist eingebettet in zwei wissenschaftliche Projekte. Zum einen in das CARE Projekt, das aus Mitteln des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gespeist wird. Dabei wird bei der Risikoeinschätzung auf Algorithmen und die Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) zurückgegriffen. Angedockt sind die Lübecker ferner an ein Projekt (STEP), das vom Londoner Kings College koordiniert wird. Dabei wird bei Hochrisikopatienten Cannabidiol eingesetzt, um Stress zu reduzieren und darüber eine psychosevorbeugende Wirkung zu erzielen.         Anke Hinrichs

Im BEATS anrufen können nicht nur Betroffene und Angehörige, sondern auch z.B. Lehrer und niedergelassene Ärzte, die sich um einen jungen Menschen sorgen. Regional richtet sich das Angebot an die Kreise Herzogtum Lauenburg, Stormarn und Ostholstein. Die an das BEATS angebundenen Patienten werden über einen Verlauf von zwei Jahren beobachtet und begleitet. Kontakt: Email: beats.zip@uksh.de, Telefon: (0451) 500 98710 (Standort ZIP), Telefon: (0451) 4002 50400 (Standort JuLe).