Psychiatrie-Erfahrene
wollen mitmischen

Drei Mitglieder des Vorstands der Aktionsgemeinschaft Handlungsplan: Christian Sach, Gunilla P. und Thomas Bartels (v.l.). Foto: Geißlinger

Mitreden, die eigenen Themen in die Öffentlichkeit bringen, die Stimme für andere Betroffene erheben: Menschen mit Psychiatrieerfahrung in Schleswig-Holstein haben einen Verein für ihre Selbstvertretung gegründet. Die „Aktionsgemeinschaft Handlungsplan – Netzwerk Schleswig-Holstein“ (AGH) steht für Partizipation und Aufklärung über psychische Krankheiten. Die Aktiven gehen dafür strategisch vor, bilden sich gezielt weiter und vernetzen sich kommunal und landesweit.

„Ihr seid ein Dreamteam, arbeitet weiter zusammen“ – diesen Tipp hörten Thomas Bartels und Christian Sach oft, nachdem sie sich im Jahr 2009 in der Arbeitsgruppe Öffentlichkeitsarbeit beim Kieler Fenster, einem ambulanten Zentrum für Menschen mit psychischen Problemen, getroffen hatten. Diese Gruppe und die Tätigkeit dort, die die Hauptamtlichen im Kieler Fenster auf Augenhöhe begleiteten, bezeichnen Bartels und Sach als „Keimzelle“ der heutigen AGH. 

Seit diesem Jahr ist die Aktionsgemeinschaft offiziell als Verein eingetragen. Der Weg dorthin hat Jahre gedauert, zahlreiche bürokratische Hürden waren zu überwinden. Nun sind die Vorstandsmitglieder erleichtert, sich wieder mit aller Kraft der Sacharbeit widmen zu können. „Denn wir sind ein Arbeitsverein“, sagt Gunilla P. (voller Name der Redaktion bekannt). Gemeint ist damit, dass die meisten Beteiligten auch Aufgaben übernehmen, etwa in einem Gremium mitarbeiten, um dort auf die Belange von Menschen mit Behinderungen und besonders psychisch Kranken hinzuweisen. Allein gelassen wird dabei niemand: Aus den Erfahrungen des „Dreamteams“ Bartels-Sach ist der Grundsatz entstanden, immer mindestens zu zweit aufzutreten. Das sei in Arbeitskreisen oder Gremien erst einmal ungewohnt, berichten beide. „Aber es gehört zu unseren Prinzipien, wir machen das so.“

Ein Kerngedanke: Selbstbewusst mit den eigenen Schwächen umgehen

Selbstbewusst auch mit den eigenen Schwächen umzugehen ist ebenfalls ein Kerngedanke der Gruppe. „Wenn wir irgendwo sprechen, haben andere oft den Eindruck, dass wir gar kein Problem hätten“, sagt Bartels, der inzwischen viele Jahre Gremienerfahrung hat und auch vor großen Gruppen auftritt. „Aber wir schaffen aufgrund unserer Krankheiten längst nicht das Pensum, das andere leisten könnten.“ Durch die ehrenamtliche Tätigkeit „gehen wir andauernd über unsere Grenzen“. 

Keines der Mitglieder im Vorstand wäre belastbar genug für tägliche Arbeit oder eine Arbeit an fünf Tagen in der Woche. Christian Sach beschreibt die Belastung: „Wenn ich mehrere Termine an einem Tag habe, gehe ich weit über mein Limit. Ich kann das liefern, aber ich kriege später die Quittung.“

Die AGH trägt ihren Namen, weil der Rat der Stadt Kiel 2014 beschloss, einen Handlungsplan für die bessere Teilhabe von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen zu erstellen. Ein Expertengremium bildete sich, Thomas Bartels und Christian Sach nahmen daran teil – als Vertreter einer Gruppe, die beim Paritätischen Wohlfahrtsverband angesiedelt war. „Wir sind froh über unsere Profis, wir bestehen sogar darauf, von Profis begleitet zu werden, wenn es unterstützend und auf Augenhöhe passiert“, sagt Bartels. Als Ergebnis der Expertenrunde richtete Kiel eine „Woche der seelischen Gesundheit“ ein. Doch wichtiger war, dass die Gruppe sich gefunden hatte und weiter zusammenarbeitete, etwa bei einem Fachtag im Landtag. 

Gegenüber einer Vereinsgründung waren die Beteiligten anfangs skeptisch: „Bürokratie ist der Tod jeder Bewegung“, sagt Christian Sach. Aber ohne feste Struktur stießen die Mitglieder der AGH an ihre Grenzen – auch an die finanziellen: „Fahrten zu Terminen, Telefon, Porto …“, zählt Bartels auf. „Für andere mag das nicht der Rede wert sein, aber Menschen mit Behinderung sind oft arm. Kaffee trinken nach einem Termin kann ich mir vielleicht einmal im Monat leisten.“

So soll der Verein auch ein Mittel sein, Projektmittel oder Spenden einzuwerben. Eine Homepage wird gerade eingerichtet, Büroräume und eine hauptamtliche Geschäftsführung sind ein Wunsch. Neben Kiel sind in mehreren Orten Regionalgruppen entstanden. „Das Wichtigste ist: Der Impuls geht immer von uns Betroffenen aus“, sagt Gunilla P.        Esther Geißlinger

(Originalveröffentlichung in der EPPENDORFER-Printausgabe 6/22)