Die Bundesregierung will den Verkauf von Cannabis an Erwachsene „zu Genusszwecken“ freigeben. Auch Anbau im kleinen Maßstab soll für den Eigenbedarf erlaubt werden. Gleichzeitig sollen Prävention und Jugendschutz ausgeweitet werden. Soviel steht im Eckpunktepapier der Ampel-Koalition – aber einen ausführlichen Drogen- und Suchtbericht hat die Regierung im Jahr 2022 nicht vorgelegt. Einen alternativen Bericht gab es trotzdem: Mit dem Schwerpunkt Cannabis-Legalisierung. Gefordert wird eine Gesamtstrategie.
„Schade, so können wir uns gar nicht daran abarbeiten“, sagte Heino Stöver, geschäftsführender Direktor des Instituts für Suchtforschung an der Frankfurt University of Applied Sciences und Vorsitzender von akzept e.V., dem Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit. Zum neunten Mal gab der Verein Ende 2022 den Alternativen Drogen- und Suchtberichts heraus, der sich schwerpunktmäßig mit der Legalisierung von Cannabis befasst. Trotz generellem Lob für die Pläne der Regierung blieben zahlreiche Fragen ungeklärt, so das Fazit einer Pressekonferenz, bei der der Drogenbericht vorgestellt wurde. Unter anderem vermissen die Beteiligten eine Gesamtstrategie der Regierung, die auch Tabak und Alkohol mit einbezieht. „Elf Millionen Menschen in Deutschland sind mehr oder weniger dauerhaft von Substanzmissbrauch betroffen, aber in Berlin befassten sich nur zehn bis zwölf Menschen mit dem Thema“, so Stöver. Sinnvoll sei eine interministerielle Arbeitsgruppe.
Aber auch beim Cannabis gibt es noch Lücken. „Die Regierung kümmert sich nur noch ums Kiffen, aber Cannabis als Medizin liegt im Argen“, kritisierte Max Plenert, früher im Deutschen Hanfverband und heute im Kompetenzzentrum Cannabis in Berlin tätig. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der Arzneimittel und Behandlungsverfahren regelt, plane sogar Verschärfungen. Schwerkranke würden aber nicht in Cannabis-Shops gehen, zudem seien selbst moderate Marktpreise für kranke Dauerkonsumenten zu hoch, fürchtete Plenert. „Cannabis gehört in die Regelversorgung, es braucht Ärzte, die es verschreiben. Aber da ist das ideologische Brett im Kopf davor.“
Mindest-Alter von 18 Jahren – für Cannabis und Alkohol
Öffentlich diskutiert werden das Abgabe-Alter und die Frage, wo Cannabis künftig verkauft wird. Dr. Bernd Werse, Vorstandsmitglied der European Society for Social Drug Research und aktiv im Centre for Drug Research an der Goethe-Universität Frankfurt, sprach sich für ein Mindest-Alter von 18 Jahren aus und schlug vor, diese Grenze auch für Alkohol anzuwenden. „Das bedeutet vermutlich nicht, dass niemand unter 18 trinkt oder kifft, aber man hat eine symbolische Grenze gezogen.“
Den gesamten Verkauf über Apotheken abzuwickeln, wie kurz im Gespräch war, lehnten die Autoren des Alternativen Drogenberichts ab. „Es sollten geschulte Leute machen, die Personen mit problematischem Gebrauch erkennen und an Beratungsstellen weiterleiten“, so Werse. Eine Apotheke sei nicht der richtige Ort für Genussdrogen. Dennoch sei es denkbar, in dünner besiedelten Regionen Apotheken zu nutzen: „Man könnte online im Fachgeschäfte bestellen und in der Apotheke abholen.“
Insgesamt lautet der Rat, sich an Erfahrungen anderer Länder zu orientieren. Etwa bei der Frage, wieviel Kommerz und Werbung zugelassen werden soll. So gibt es in den USA eine bunte Fülle von THC-Produkten, darunter Schokolade, Säfte und Bonbons mit fröhlichen Verpackungen, die auch für Kinder verlockend aussehen. „Solche Dinge müssen jetzt wir ausschließen“, so Plenert. Stöver sah Kanada mit seinem Public-Health-Ansatz als Vorbild. Zentral sei, dass die Strafverfolgung aufhöre. Das könne, ähnlich wie in Portugal, mittelfristig auch andere Substanzen wie Heroin oder Kokain betreffen. „Die Justiz ist der schlechteste Ratgeber für Verhaltensänderung. Statt Menschen zu inhaftieren, sollten sie an Beratungsstellen verwiesen werden.“
Auch über den Anbau solle nachgedacht werden, wünschen sich die Autoren des Alternativen Drogenberichts. Dazu könnten sich „Cannabis Social Clubs“ gründen, in denen gemeinsam gepflanzt und konsumiert wird. Esther Geißlinger