Cannabis: Mangel
an Evidenz

Die Produktion und die Verarbeitung von Cannabis zu medizinischen Produkten ist ein großes Geschäft. Foto: pixabay

„Die Behandlung chronischer Schmerzen mit medizinischem Cannabis steht in einem wachsenden Spannungsfeld von finanziellen Interessen, Hoffnungen der Betroffenen und einer nicht nachgewiesenen Effektivität“, sagt Professor Dr. med. Frank Petzke, Leiter Schmerzmedizin an der Klinik für Anästhesiologie der Universitätsmedizin Göttingen und Sprecher der Ad-hoc-Kommission „Cannabis in der Medizin“ der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. im Rahmen einer Online-Pressekonferenz zum Deutschen Schmerzkongress. 

Seit mehr als vier Jahren ist in Deutschland die Verordnung von medizinischem Cannabis, Cannabisblüten und -extrakten sowie von cannabisbasierten Arzneimitteln auf Rezept möglich – trotz einer fehlenden Zulassung. Im Jahr 2022 steht die finale Auswertung der gesetzlich geforderten Begleiterhebung an, zu der alle Ärztinnen und Ärzte verpflichtet sind, die medizinisches Cannabis verschreiben. Etwa zwei Drittel der 10.000 dort dokumentierten Patientinnen und Patienten berichten über positive Effekte nach einem Jahr Behandlung – vor allem bei chronischen Schmerzen. In hochwertigen Studien gibt es allerdings nach wie vor keinen sicheren Wirkungsnachweis, und auch die Risiken einer längerfristigen Behandlung sind kaum untersucht.

Das Geschäft boomt

Zugleich boomt das Geschäft mit Cannabis. Im ersten Halbjahr 2021 sei medizinisches Cannabis in Höhe von fast 90 Millionen Euro verschrieben worden. „Diese hohe Summe legt nahe, dass ein wirtschaftlich interessanter Markt mit erheblichen Kosten für die Solidargemeinschaft entstanden ist“, so Petzke weiter. Die Deutsche Schmerzgesellschaft fordert deshalb einen konstruktiven Dialog der beteiligten Interessensgruppen im Jahr 2022, an dem sie sich auch aktiv beteiligen wird.

Derzeit zählen manche Formen der Epilepsie, schmerzhafte Spastizität bei Multipler Sklerose und Übelkeit und Erbrechen nach Chemotherapie bei Versagen anderer Optionen zu den Indikationen mit speziell zugelassenen cannabisbasierten Arzneimitteln, die ärztlich direkt verordnet werden können. Alle anderen möglichen Indikationen für eine Therapie mit medizinischem Cannabis – einschließlich der Behandlung von Schmerzen – benötigen ein besonderes Antragsverfahren, da keine arzneimittelrechtliche Zulassung mit entsprechendem wissenschaftlichen Wirknachweis vorliegt. 

Breites Angebot erschwert Wahl des richtigen Präparats

Die gesetzlichen Hürden für die Verschreibung von Cannabis-Präparaten wurden vor diesem Hintergrund festgelegt: Nur wenn eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, für die die Standardtherapien bereits ausgeschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen können, kann die Kostenübernahme bei der Krankenkasse beantragt werden. Der Behandler muss zudem bescheinigen, dass eine – so das Gesetz – „nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht“. Werden die Bedingungen erfüllt, steht mittlerweile ein breites Spektrum an cannabinoidhaltigen Fertigarzneimitteln und Zubereitungen in Form von diversen Blütenprodukten oder standardisierten Extrakten zur Verfügung. Zahlreiche Anbieter haben den Cannabis-Markt für sich entdeckt. Dies schaffe einerseits verbesserte therapeutische Optionen, sagt Petzke, mache es den Behandlern und Patienten aber auch schwer, das richtige Präparat auszuwählen. (Quelle: PM Deutscher Schmerzkongress 2021)

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