Der Geist kann lügen. Doch der Körper lügt nie – Marina Abramović, von der dieses Zitat stammt, sollte es wissen. Kaum eine hat ihren Körper derart der Kunst ausgeliefert wie die berühmte und vielleicht radikalste Performance-Künstlerin der Welt. Sie bestimmt denn auch Anfang und Ende des Dokumentarfilms „Body of truth“ von Evelyn Schels, der vier Künstlerinnen – und starke Frauen – verbindet, die sich mit körperlicher Kunst mit Themen wie den Jugoslawienkriegen, dem Nahost-Konflikt, der iranischen Revolution und dem Faschismus beschäftigen. Er sollte eigentlich schon im April ins Kino kommen – Jetzt startet er am 10. September.
„Everybody has his bullshit“, sagt Abramović. Wir alle haben unsere Verletzungen, große und kleine. Die Tochter jugoslawischer Partisanen im Zweiten Weltkrieg und gebürtige Serbin setzt sich immer wieder mit Gewalt, Schmerz und Trauer auseinander. Sie versuche Schmerzhaftes in Positives zu verwandeln, so Abramović im Film. Sie spricht von transzendenter Biographie. Da rein könne jeder seinen Müll projizieren. Sie selbst habe das befreit. „Ich bin frei“, sagt sie.
Die über 74-Jährige ist weiter hoch produktiv, und, frau glaubt es kaum, sie strickt. Das sei gut für den Blutdruck und gegen Alzheimer, lacht die durchaus witzige Künstlerin, als sie am Ende des Films die befreundete Künstlerin Shirin Neshat trifft. Auch sie eine in New York lebende Exilantin.
Shirin Neshat: Mit Schönheit gegen Gewalt
Shirin Neshat kommt aus dem Iran und musste ihre Heimat und die Familie nach der islamischen Revolution 1979 verlassen. Die Kunst habe ihr geholfen, ihre Persönlichkeit auszubilden. Neshat sieht man beim afrikanischen Tanz, sie will schön altern. Und mit Schönheit will sie gegen Gewalt angehen, überzog drastische, politische Fotoarbeiten mit lyrischen Texten in Farsi. Ihre Fotos und Videos thematisieren ihre Heimat, Verschleierung, Religionsideologie . . .
Die deutsche Geschichte verbindet auf unterschiedlichste Art zwei weitere Protagonistinnen. Die eine, Katharina Sieverding, war Meisterschülerin von Joseph Beuys. Für sie ist der Kopf der wesentliche Teil des Körpers. Sie arbeitete mit inszenierten Selbstporträts, befasst sich mit politisch-gesellschaftlichen Themen. Zu ihren Arbeiten zählen z.B. der Zyklus „Schlachtfeld Deutschland“ und „Deutschland wird deutscher“, in denen sie Faschismus und Rechtspopulismus thematisiert.
Sigalit Landau arbeitet mit Auschwitz-Assoziationen
Die andere, Sigalit Landau, israelische Video-Künstlerin und Bildhauerin, wuchs mit Eltern auf, die den Holocaust überlebten. Sie selbst erlebte die Intifada, filmte dabei, brach ob des Elends zusammen. In einer ihrer Performances verletzt sie sich selbst, in dem sie einen Hula-Hoop-Reif aus Stacheldraht um ihren Bauch kreisen lässt, das Zuschauen tut weh. Das Tote Meer zieht sie besonders an. Berühmt ihre Video-Installation „DeadSee“: Darin wird ihr Körper Teil einer auf dem Toten Meer schwimmenden Spirale aus Wassermelonen. Ein anderes Mal wirft Sigalit Landau Schuhe auf eine Salzinsel im Toten Meer. Was für eine Auschwitz-Assoziation. Body of truth – beeindruckend und unbedingt sehenswert! Anke Hinrichs
(Originalveröffentlichung in der Printausgabe 2/20)