Wenn Psychiatrie
auf Rechte trifft

Was tun, wenn Teilnehmer von Gruppenangeboten agitieren und während der Therapie rechtsextreme Positionen vertreten? Foto: Rainer Sturm / www.pixelio.de

Was tun, wenn sich Patientinnen oder Patienten rechtsextrem äußern, ihre Gesinnung in den therapeutischen Raum tragen und/oder Mitpatienten oder Mitklientinnen zu beeinflussen versuchen? Wie weit können oder müssen sich Professionelle abgrenzen, wieviel ist zu tolerieren – und was kann das Hilfesystem tun, um diese Menschen vor einem Abdriften in extreme politische oder aktuell auch Querdenker-Gruppierungen abzuhalten? Darüber sprachen Teilnehmer eines FachgesprächsONLINE der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP) mit dem Titel: „Was tun, wenn psychiatrische Praxis auf Menschen mit extrem rechter Gesinnung trifft?”

 Hintergrund der Veranstaltung war ein Vorkommnis, anhand dessen Samuel Thoma seine Probleme mit dem Thema in seinem Alltag als Assistenzarzt in der Immanuel Kant Klinik Rüdersdorf in einem Fachzeitschriften-Artikel* verdeutlicht hatte. Er schilderte dort den Fall einer Frau Anfang 50 – Frau Hüther genannt – die an wiederkehrenden Depressionen und einer Persönlichkeitsstörung leidet, wegen der sie frühverrentet ist. In der Gruppentherapie beginnt sie politisch zu agieren und rechtsextreme Positionen zu vertreten. 

Das Ganze gipfelt im Tragen eines T-Shirts von Thor Steiner – einem unter Nazis weit verbreiteten Modelabel. Einer Aufforderung, das T-Shirt  nicht in der Psychiatrie zu tragen, leistet sie nicht etwa Folge, sondern beschwert sich bei der Klinikleitung. Das hat weitere Diskussionen  zur Folge, bei denen es auch um die Frage geht, ob die Agitation als Symptom zu deuten sei und sich das Team von der Patientin spalten lasse. Tatsächlich gelingt es, mit der Patientin über ihre Biografie, die Familiensituation in der Kindheit mit ihrem strengen Vater sowie Erfahrungen mit Stasi und der DDR zu sprechen, doch nachdem sie sich zur AfD bekennt und weiter auch in der Therapie agitiert, ist für Thoma die Grenze erreicht: „Für mich war eine therapeutische Beziehung unmöglich geworden.“ 

Die gelernte Abstinenz fällt sehr schwer

Die in der Ausbildung gelernte elementare Abstinenz fällt ihm sehr schwer. Er erkennt, in der Ausbildung nicht darauf vorbereitet worden zu sein, wie man mit politischen Strategien von PatientInnen umgeht. Und er ist nicht der einzige, der nicht weiß, wie er mit rechtsextremen Positionen umgehen soll. 

Gerade aktuell und angesichts der teils auch von Rechtsextremen unterwanderten Querdenker-Proteste registriert Dr. Friedemann Bringt als Vertreter der bundesweiten Mobilen Beratung e.V. mehr werdende Beratungsanfragen, „gerade aus psychosozialen Beratungsstellen“. Gerade rechte Frauen würden häufig übersehen und als „Normalisiererinnen“ eingesetzt, machte Prof. Esther Lehnert von der Alice Salomon Hochschule Berlin deutlich. Sie wies dabei auf „ausdifferenzierte Inszenierungen“ in  sozialen Medien hin.

Wo und wann können und müssen Profis Grenzen ziehen?

Grundsatzproblem bei dem gesamten Thema: Wo und wann können und müssen Profis Grenzen ziehen? Was tun, wenn ein ambulant betreuter Klient  einer Organisation nahesteht, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird?, fragte eine Fachgesprächs-Teilnehmerin. „Auf keinen Fall sollte man so tun, als wenn alles o.k. wäre und Unterstützung in Form von Supervision suchen“, riet Prof. Esther Lehnert.   (hin)

(Gekürzter Text aus der aktuellen Printausgabe 5/21. Ein kostenloses Probeexemplar mit dem vollständigen Bericht können Sie unter info@eppendorfer.de anfordern).