„Liebe Angst”

Lore schreibt den ganzen Tag Artikel auf Karteikarten. Foto: realfictionfilme

Sandra Prechtel und Kim Seligsohn erzählen in dem Dokumentarfilm „Liebe Angst“  über Traumata, die von einer Generation an die nächste weitergeben werden. 

Lore war sechs Jahre alt, als ihre Mutter Marianne Seligsohn nach Auschwitz deportiert wurde. Heute schreibt Lore Kübler von morgens bis abends  Artikel aus dem Weser-Kurier auf Karteikarten, archiviert sie in Kisten, Körben und Kartons. Kim ist die Tochter von Lore. Sie kämpft gegen die Angst, um ein Stück Normalität. Ein Leben lang hat ihre Mutter nicht gesprochen: nicht über Kims Großmutter, nicht über das Versteck, in dem Lore als Kind überlebt hat, nicht über Kims Bruder, der sich das Leben genommen hat. Aber Kim will reden, und LIEBE ANGST begleitet  „den Prozess der Annäherung zwischen Mutter und Tochter, ihre Wut, ihre Kraft, und eine Liebe, die immer da war, aber nicht gelebt werden konnte“, beschreibt es Maxi Braun für epd. 

Kim will reden – Die Mutter schweigt

Wie waren die Dinge eigentlich? Das ist die Frage, die Kim umtreibt und für deren Klärung sie sich Unterstützung von Regisseurin Sandra Prechtel geholt hat, die sie auf ihrer Suche begleitet. Die Zuschauer erfahren nicht viel: Lore ist als Kind einer jüdischen Mutter der Ermordung durch die Nationalsozialisten entkommen, weil sie von einer anderen Familie in Berlin versteckt wurde. Ihre Mutter starb im Konzentrationslager, ihr Bruder floh zuerst nach Australien und von dort nach Polynesien, weil er nicht im Land der Täter*innen leben wollte. 

Der Bruder kämpft lebenslang mit psychischen Problemen

Kim hält es als 13-Jährige nicht mehr zu Hause in Berlin aus, haut ab, lebt mit einem älteren Mann zusammen, findet Halt in der Musik. Ihr Bruder kämpft lebenslang mit psychischen Problemen, überlebt einen Suizidversuch und nimmt sich Jahre später doch das Leben. Lore ist, als die Dreharbeiten beginnen, über 80 Jahre alt. Das Verhältnis von Mutter und Tochter ist eng, aber angespannt und geprägt von dem, was nicht gesagt wird, so Braun.

Kims verzweifelte Versuche, Lore gegen Ende ihres Lebens doch noch zum Sprechen zu überreden, ihr Brücken zu bauen, scheitern. „Lore bleibt stumm. Macht dicht. Schweigt. Bis zu ihrem Tod. Was Kim als ,dauernden Fluchtversuch vor etwas, was sowieso schon passiert ist’ beschreibt, bildet das Kernthema des Films“,  so Maxi Braun, die dennoch auch hoffnungsvolle Momente sieht. So wenn sich Kim und Lore schweigend verstehen. Sich umarmen,  einander necken. „Der lebenslange Wille der Tochter, die Mutter zu verstehen, und Lores störrische Geduld, das auszuhalten und ihr dies zu verzeihen, hat beide doch ein Leben lang verbunden.“

Liebe Angst, Filmstart: 23.3. 2023