Leichtes Spiel für
Online-Anbieter

Zocken kann für manche Spieler Russisches Roulette werden und Existenzen kosten. Foto: Herbert Käfer/ pixelio.de

Digitale Glücksspiele sind in Deutschland in den meisten Bundesländern (noch) illegal und in der Corona-Krise vermutlich besonders gefragt. Nicht zuletzt, da Spielbanken und Spielhallen zwischenzeitlich geschlossen hatten oder noch geschlossen sind. Online-Anbieter investierten massiv in Werbung. Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres sei das Brutto-Volumen an geschalteter TV-Glücksspielwerbung um 60 Prozent gestiegen, berichtete das Hamburger Abendblatt mit Bezug auf ein Datenanalyse-Unternehmen. Nächstes Jahr soll ein neuer Glückspielstaatsvertrag für mehr Regulierung – und Legalisierung sorgen. Was das bedeutet bzw. bedeuten könnte, diskutierten jüngst Experten bei einem Fachtag Glücksspielsucht in Elmshorn.

Legalize it – zocken wie die Nordlichter: Schleswig-Holstein hatte 2012 den Takt vorgegeben. Nach acht Jahren zieht der Rest der Republik nach. Online-Glücksspiele verlassen die digitale Schmuddelecke. Die Bundesländer haben sich auf einen neuen Glücksspielstaatsvertrag geeinigt, der Mitte kommenden Jahres in Kraft treten soll. Er erlaubt Unternehmen, virtuelle Glücksspiele anzubieten. Legalisierung gleich Regulierung: Wer online pokert, wettet oder anderen Spiele anhängt, soll fortan besser geschützt werden können, als es im bis jetzt unkontrollierten Markt möglich ist – eines der Argumente der Legalisierer.

Kritiker vom Fach indes haben ihre Bedenken, wie sie jüngst im Rahmen des Fachtags Glücksspielsucht in Elmshorn wieder deutlich wurden. Patrick Sperber (Landeskoordinator für Glücksspielsucht und Prävention) hielt den Eröffnungsvortrag „Glücksspielsucht in Schleswig-Holstein: Prävalenz und Politik“, eine informative Tour d’Horizon durch die Glücksspielthematik. Pathologisches Glücksspiel als rehafähige Krankheit (F63 ICD 10) mit lebenslanger Rückfallgefahr. Allein in Schleswig-Holstein seien bis zu 11.000 Menschen gefährdet, bis zu 10.000 abhängig. Die Zahl der Mitbetroffenen schätzt er auf bis zu 15.000. Auch in seiner regulierten Form ist Glücksspiel ein Millionen-Business: Hier rollt der Rubel in Höhe von rund 34,65 Milliarden Euro (2014), zwei Drittel der Summe spielen die verbreiteten Automaten ein. Das andere Drittel, so Sperber, kassieren vor allem Spielbanken und staatliche Lotterien. 

Warnung vor Grenzenlosigkeit und Kontrollverlust

Das Online-Glücksspiel birgt aus Perspektive der Suchthelfer neben einigen Vorteilen (Dokumentierbarkeit, automatische Sperrmöglichkeit, direktes Angebot von Hilfemöglichkeiten) jedoch gravierende Nachteile: Der User kann jederzeit und überall spielen (Pausen- und Schließzeiten fehlen), kann unbegrenzt Geld einsetzen, es gibt keine soziale Kontrolle, die Nachweise von Volljährigkeit und Geschäftsfähigkeit seien, so Sperber, fragwürdig.

Der neue Glücksspielstaatsvertrag sieht eine Reihe von Spielerschutzmaßnahmen vor: Sie reichen anbieterübergreifend vom monatlich auf eintausend Euro limitierten Einsatz pro Spieler über eine zentrale Sperrdatei bis hin zu einem Frühwarnsystem. Auch eine Selbstlimitierung des Spielers soll möglich sein.

Die Suchthilfe sieht in der bundesweiten Ausdehnung des schleswig-holsteinischen Sonderweges ein viel zu hohes Tempo am Werk. „Wir legen los, ohne die Wirksamkeit der Schutzmechanismen überprüfen zu können“, klagt Patrick Sperber. Genereller Einwand contra Liberalisierung: Es werde eine Konkurrenz zwischen den verschiedenen Anbietern geben – die wiederum belebt das Geschäft, verstärkt die Werbung und könnte immer mehr Menschen in die Glücksspielabhängigkeit treiben. Auch auf diesem Wirtschaftsgebiet gelte: Die Gewinne werden privatisiert, die Kosten (für Therapien und dergleichen) aber sozialisiert.

Patrick Sperbers Online-Tipp für Gefährdete und Abhängige ist die Seite www.onlineverzockt.de.

                 Michael Göttsche

Narzissten als „leichtes Opfer” für Automaten

Glücksspiele haben leichtes Spiel, eine narzisstische Seele zu erreichen: Sie locken mit einer zunächst realistischen Gewinnchance – und Gewinn bedeutet Sieg, Erfolg, Anerkennung, Macht, Kontrolle. „Den Rest erledigt die operante Konditionierung“, so Michael Immelmann. 

Der Psychologische Psychotherapeut (Diako-Klinik Nordfriesland, Bredstedt) sprach in Elmshorn über „Psychodynamik der Glücksspielsucht und Behandlungsmethoden“. Er widmete sich den narzisstisch Gestörten, eine der großen Gruppen unter den Persönlichkeitsstilen pathologischer Glücksspieler. Sie seien leichtes Opfer vor allem für Automatenglücksspiele: Zu 60 Prozent werde ihnen ein Erstgewinn beschert, gefolgt von einer langen Reihe an Gewinnphasen – bevor es umschlägt. Auch wenn die Gewinne dann ausbleiben, empfänden sie Befriedigung beim Spiel. „Das ist wie bei Anglern – manchmal fangen auch die tagelang nichts, werfen aber weiterhin den Haken und Köder aus“, so Immelmann. 

Nicht alle Narzissten seien Glücksspieler und umgekehrt, „aber sie spielen sich gegenseitig die Bälle zu“. Michael Immelmann listete diverse Merkmale der Glücksspielsucht auf, die sich mit narzisstischen Merkmalen verbrüdern: immer höhere Einsätze, um die gewünschte Erregung zu erreichen; erfolglose Kontrollversuche; Belügen anderer um die Sucht zu kaschieren; Gefährdung privater und beruflicher Beziehungen; sich verlassen auf finanzielle Hilfe durch andere und spielbedingte Notlage.

Unter Rückgriff auf DSM-5 nannte Immelmann einige Kriterien für eine selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung, die ebenfalls anfällig fürs Glücksspiel macht – von der Vermeidung sozialer Kontakte über allzu große Empfindsamkeit gegenüber Ablehnung durch andere bis zum mangelnden Selbstvertrauen bei anstehenden Entscheidungen.

Verluste tangieren solche Spieler kaum

Der selbstunsicher-vermeidende Mensch erlebe beim Glücksspiel eine Dopamin-Überflutung: „Er hat einen Ort, wo er hingehen kann; ist dort geschützt und kann etwas erleben und hat losen Kontakt zu anderen Menschen“, so Immelmann. Verluste tangieren solche Spieler kaum: „Dem Narzissten sind die Folgen eines Verlustes egal, der Selbstunsichere ist nicht wirklich überrascht, dass er nicht gewinnwürdig ist.“ 

Dass das Gros der Spielsüchtigen männlich ist, hat vor allem drei Gründe: Männer, so Michael Immelmann, neigen eher zu Suchtverhalten als Frauen. Außerdem haben Faktoren wie Erfolg, Sieg und auch Macht für Männer mehr Gewicht. Und: „Frauen können länger eine Fassade aufrechterhalten und ,unter dem Radar‘ spielen.“

Zu den Behandlungsmethoden der Bredstedter Klinik gehört unter anderem die Psychoedukation. „Der Rehabilitand darf seine Persönlichkeit behalten, soll aber seine Psychodynamik verstehen“, so Immelmann. Was nicht immer leicht ist in einer Gemeinde, in der gleich zwei Spielhallen ihr Geschäft betreiben.  (gö)