Gewalt: Verbände fordern
Ausbau der Versorgung

Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, braucht es keine neuen Regelungen, sondern bessere Versorgung, meinen Experten. Symbolfoto: Augustin/unsplash

Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, brauche keine neuen Regelungen, sondern die konsequente Nutzung bestehender rechtlicher Möglichkeiten, so die Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Diese fordert in einem neuen Positionspapier insbesondere den Ausbau der Versorgungsstrukturen, der Eingliederungshilfe und der Sozialpsychiatrischen Dienste. Das 30-seitige Positionspapier wird von insgesamt mehr als 20 weiteren Fach- und Klinikverbänden sowie Angehörigen- und Betroffenengruppen unterstützt.

Die Verbände reagieren damit auf den Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) von Mitte Juni zum „Integrierten Risikomanagement bei Menschen mit psychischen Erkrankungen“. Dort heißt es unter anderem: „Die IMK hält es für erforderlich, ein zuverlässigeres und wirksameres System zur Früherkennung und Minimierung von Risiken bei Menschen mit psychischer Erkrankung zu etablieren. Relevante Erkenntnisse zu psychischen Erkrankungen müssen den zuständigen Behörden, gegebenenfalls auch der Polizei, zugänglich und ein Datenaustausch möglich gemacht werden.“

Innenminister fordern Datenaustausch – DGPPN: Mindert Gewaltrisiko nicht

Register oder die Weitergabe von medizinischen Daten an Behörden minderten das Gewaltrisiko nicht, so die DGPPN in ihrer Pressemitteilung. „Im Gegenteil: Wenn die Furcht vor Stigmatisierung dazu führt, dass Betroffene nicht zum Arzt gehen oder sich erst spät behandeln lassen, erhöhen solche Maßnahmen das Risiko, dass eine Gewalttat begangen wird”, so die DGPPN-Präsidentin Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank

„Die wirksamste Maßnahme der Gewaltprävention bei Menschen mit psychischen Erkrankungen ist eine fachgerechte psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung“, betont sie. Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, sei nicht gewalttätig, das müsse betont werden. Neuere komplexe Studien belegten aber ein statistisch erhöhtes Risiko, Gewalttaten zu begehen; eindeutig gesichert sei es für Schizophrenien und andere Psychosen, Substanzkonsumstörungen (Missbrauch/Abhängigkeit von Drogen und Alkohol) und schwere Persönlichkeitsstörungen. Das Risiko steige, wenn Drogen und Alkohol konsumiert werden „und es sinkt, wenn die Erkrankung adäquat behandelt wird“ betonte die DGPPN-Präsidentin.

Statistisch erhöhtes Risiko, Gewalttaten zu begehen

Um das Risiko für Gewalttaten zu senken, fordert die Fachgesellschaft in ihrem Positionspapier Prävention von Gewalttaten deshalb dezidiert den Ausbau geeigneter Behandlungsstrukturen für Menschen mit schweren psychischen Störungen und gezielte Unterstützung von solchen Menschen, „die sich bereits in der Vergangenheit aggressiv oder gewaltbereit gezeigt haben und deshalb in einer psychiatrischen Klinik untergebracht waren.“ Die DGPPN empfiehlt für diese Gruppe eine zusätzliche intensive Betreuung nach dem Vorbild der bayerischen Präventionsambulanzen und dabei einen besonderen Fokus auf die Früherkennung und Prävention drohender Gewalt zu legen.

Eine besondere Herausforderung stellten jene Patientinnen und Patienten dar, die in der Vergangenheit durch Aggressivität und Gewaltbereitschaft aufgefallen sind, sich aber gegen eine Behandlung aussprechen. „Natürlich müssen vorrangig Maßnahmen eingesetzt werden, um die Betroffenen zu einer Behandlung zu motivieren“, macht die DGPPN-Präsidentin deutlich. „In einzelnen Fällen muss aber bei hohem Aggressionspotenzial auch darüber nachgedacht werden, wann die Voraussetzungen für eine unfreiwillige Behandlung vorliegen. Aktuell ist es so, dass eine Unterbringung wegen Selbst- oder Fremdgefährdung unmittelbar beendet wird, wenn die akute Symptomatik abgeklungen ist, auch wenn sich der Zustand noch nicht ausreichend stabilisiert hat. Damit ist mittel- und langfristig weder den Betroffenen noch der Gesellschaft geholfen.“ Die DGPPN empfiehlt deshalb, diese Praxis unbedingt zu überdenken. 

„Aussetzung einer Unterbringung kann mit Auflagen verknüpft werden”

Weitere Behandlungsanreize ließen sich dadurch setzen, dass man Unterbringungen unter Auflagen aussetzt. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank erläutert: „Die Aussetzung einer gerichtlich beschlossenen Unterbringung kann mit Auflagen verknüpft werden. Zum Beispiel kann festgelegt werden, dass der Patient verpflichtend eine medikamentöse Behandlung erhält und keine Drogen nimmt. Wird gegen die Auflagen verstoßen, kann geprüft werden, ob die Person zurück in die Klinik muss. Diese Möglichkeit wird aktuell sehr selten benutzt, dabei eignet sie sich gut, in ausgewählten Fällen nach einem Klinikaufenthalt die konsequente Therapie sicherzustellen. (rd/PM)