Digitale Angsttherapie
auf Rezept

Als erste Krankenkasse in Deutschland bietet die Techniker Krankenkasse (TK) ab sofort eine digitale Therapie zur Behandlung von Angststörungen in den eigenen vier Wänden an. Die von der Hamburger Start-up-Firma Sympatient entwickelte Therapie mit dem Namen „Invirto“ ermögliche mit Virtual Reality (VR) und einer App „erstmalig eine leitliniengerechte Fernbehandlung von Angststörungen“, teilte die Kasse mit. Dabei können die Teilnehmer  vier Wochen lang eine App-gestützte Therapie mit  Schulungsvideos und digital angeleiteten Übungen nutzen.

Kernstück von Invirto ist die Konfrontation mittels VR-Brille mit Angst auslösenden Situationen wie Aufzug- und U-Bahnfahrten oder Menschenansammlungen. „Unser Behandlungskonzept ermöglicht den Patienten einen schnellen Zugang ohne Wartezeiten zu einer hochwertigen Psychotherapie”, so TK-Vorstandsvorsitzender Dr. Jens Baas.  

 Bevor die Therapie beginnen kann, untersucht das Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZiP) des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) alle Teilnehmer „im Rahmen einer umfassenden psychotherapeutischen Diagnostik“. Danach bekommen die Teilnehmer die VR-Brille und einen App-Zugang nach Hause geschickt. 

TK-Chef Baas: „Anders als bei einer klassischen Psychotherapie mit einem in der Regel einstündigen Besuch beim Psychotherapeuten pro Woche kann bei dem neuen Angebot jeder Patient selbst entscheiden, wann, wo und wie oft er die verschiedenen Schulungsmodule und Übungen absolviert. Während der Therapie wird der Patient von einem Psychotherapeuten des UKSH per Telefon und Video begleitet. Gerade in Regionen mit wenigen spezialisierten Therapeuten und langen Anfahrtswegen ist das eine sehr attraktive Therapieoption.” 

Im Behandlungsverlauf erfasse die App regelmäßig die psychische Situation der Teilnehmer anhand eines Fragenkatalogs. Julian Angern, einer der drei Gründer und psychologischer Leiter von Sympatient: „Wenn die Teilnehmer eine Verschlechterung ihres psychischen Zustands erfahren, haben sie direkten Zugang zu Notfallnummern und können sofort hilfreiche Übungen wiederholen. In Krisenfällen nehmen spezialisierte Mitarbeiter der Klinik mit den Teilnehmern direkt Kontakt auf. ” Um den Schutz der Patientendaten zu Gewährleisten habe man die Software von einer externen Stelle hinsichtlich der Sicherheit prüfen lassen. 

Das vor zwei Jahren aus einer wissenschaftlichen Studie am UKSH heraus gegründete Unternehmen Sympatient hat für Invirto acht Stunden therapeutisches Schulungsmaterial und fast vier Stunden VR-Bildmaterial für sieben verschiedene Angstszenarien erstellt. Angern: „Damit bilden wir die häufigsten Angst auslösenden Situationen ab.“ Das neunköpfige Team wird finanziell von der Hansestadt Hamburg gefördert und wurde im September mit dem Hamburger Gründerpreis ausgezeichnet. 

 Psychiater Dr. Bartosz Zurowski vom UKSH verweist auf den enormen Leidensdruck der Patienten. „Anfangs sind es oft sehr diffuse und unspezifische Symptome wie Schweißausbrüche, Herzklopfen oder Übelkeit. Deshalb erkennen die Patienten zu Beginn häufig nicht, dass ihre Ängste diese Symptome hervorrufen”, so der Oberarzt und Leiter des Bereichs Angst- und Zwangsstörungen am UKSH-Campus in Lübeck. Im weiteren Verlauf würden die Symptome häufig komplexer. Manchmal trauten sich die Betroffenen im weiteren Verlauf gar nicht mehr, ihre Wohnung zu verlassen. Eine Berufstätigkeit oder Einkäufe  seien für diese Menschen häufig gar nicht mehr möglich. Dr. Zurowski: „Deshalb ist es wichtig, dass Angstpatienten möglichst frühzeitig und niederschwellig ihre Störung mit einem wirksamen Gesamtkonzept bearbeiten können.”  

Der Psychiater äußert sich „sicher, dass wir damit die Behandlung entscheidend verbessern und das bisherige Angebot der ambulanten Psychotherapie ergänzen.” Das UKSH untersucht das neue Behandlungskonzept auch mit einer wissenschaftlichen Studie. Dazu werden Behandlungserfolg, Akzeptanz aber auch der Behandlungsaufwand von mehr als 200 Teilnehmern systematisch erhoben. Weitere Infos unter www.invirto.de sowie unter www.tk.de (Suchnummer 2075184). (rd)