Die Sucht nach
Sportwetten

Thomas Melchior machte hohe Schulden und landete später im Gefängnis. Nach seiner Entlassung startete er eine Kampagne gegen Sportwetten. Foto: Geißlinger

Mit einem Werbespot für Sportwetten begann der Weg, der Thomas Melchior einige Hunderttausend Euro Schulden später in den Knast brachte. Die Werbung lief 2005 bei einem Spiel der Champions League, und in der Halbzeitpause setzte Melchior aus Jux zehn Euro auf den Sieg von Bayern München. Für die zehn Euro gab es elf zurück – albern eigentlich. „Aber als Bankkaufmann habe ich nicht einen Euro gesehen, sondern zehn Prozent“, sagte Melchior bei einem Fachtag zum Thema Sportwetten in der Diako-Fachklinik im nordfriesischen Breklum. Schon am Tag nach seinem ersten Gewinn setzte der gebürtige Sachse, der damals in München lebte und bei einer Sparkasse arbeitete, bereits 600 Euro. Damals schien das eine kluge Idee zu sein: „Denn mit Sport kannte ich mich aus, und Sucht trifft alle, nur mich nicht.“ 

Männlich, jung, selbst sportlich aktiv und mit viel Wissen über Spieler, Trainer und Vereine: Melchior war der perfekte Kandidat für Sportwetten, das perfekte Opfer für eine Sucht. Den Satz „Ich kenne mich aus, ich habe eine sichere Strategie“ hört Michael Immelmann, Psychologischer Psychotherapeut an der Diako-Fachklinik, oft. „Diese Experten-Idee ist kaum wegzutherapieren“, berichtete er. 

Seit der Glücksspiel-Legalisierung explodierte der Werbemarkt

In Therapie gehe es darum, an die Themen hinter der Sucht zu kommen und über Gefühle, Familie und Bindung zu sprechen. Die Betroffenen müssten lernen, Nein zu sagen, auch zu scheinbar harmlosen Dingen wie Tippspielen im Büro. Und auch wenn sie nicht darauf verzichten müssten, Sport zu schauen, sei es wichtig, die Menge zu reduzieren: „Brauche ich alle Ligen? Wie viele Apps sind sinnvoll?“

Denn wer Sport schaut, entgeht den Wett-Angeboten nicht. Seit das Glücksspiel in Deutschland legalisiert wurde – Schleswig-Holstein machte 2011 den Anfang, als die Landesregierung aus CDU und FDP aus dem Staatsvertrag ausscherte, inzwischen zogen alle Länder nach – explodierte der Werbemarkt förmlich. Anbieter wie Tipico, Wunderino oder „Drück Glück“ schalten nicht nur Spots im Fernsehen, sondern sponsern auch Vereine, mit dem Effekt, dass Stadien entsprechende Namen tragen. 

„Dass die Zahl der Betroffenen steigen wird, prophezeien wir seit Beginn des Sonderwegs in Schleswig-Holstein“, sagte Immelmann. „Jetzt sind sie in der Therapie angekommen.“ Dabei gibt es wenige, die nur auf Sportereignisse wetten, viele spielen auch in Online-Casinos. Der Unterschied ist nicht allzu groß: Am Ende gewinnt der Anbieter.

Gab es keinen Fußball, tat es auch Pingpong in der Tschechei

Bei Thomas Melchior drehte sich nach kurzer Zeit alles nur noch ums Wetten. Er verlor Geld, spielte weiter, um die Gewinne aufzuholen, und wettete bei immer verrückteren Ereignissen: „Ich habe vorher nie getrunken oder Drogen genommen, aber nun waren meine Gedanken 24 Stunden am Tag beim Wetten“, berichtete er. Wenn in Europa keine Spiele liefen, waren Seiten in Asien oder den USA aktiv. Gab es keinen Fußball, tat es auch Pingpong in der Tschechei: „Das war kein echtes Turnier, das lief nur, damit Leute wie ich darauf wetten konnten“, ist er heute überzeugt. 

Über 800.000 Euro verspielte er im Lauf der Zeit – Geld, das er nicht besaß. Er machte Schulden, schließlich lief ein Haftbefehl gegen ihn. Anfang 2019 wurde er in Dresden festgenommen, ein Moment, auf den er ebenso erwartet wie befürchtet hatte. Doch als die Handschellen klickten, „habe ich mich endlich wieder frei gefühlt“, sagt er. „Ich stand vor der Wahl Selbstmord oder Knast und war heilfroh, dass es das Gefängnis war.“ In der Haft schrieb er ein Buch und startete nach seiner Entlassung eine Kampagne gegen Sportwetten. Esther Geißlinger

(Auszug aus dem Bericht „Die Anbieter halten Dich im Hamsterrad” – den vollständigen Bericht lesen Sie in der Printausgabe 5/23)