Auf der
Adamant

Die Adamant ist eine auf der Seine schwimmende Tagesklinik. Foto: Grandfilm

Es war die Berlinale-Überraschung, als der französische Dokumentarfilm „Sur l’ Adamant“ im Februar diese Jahres den Hauptpreis der Filmfestspiele erhielt. Am 14. September kam der Film von Nicolas Philibert, 72, nun in die deutschen Kinos. Er trägt den Untertitel „Ein utopischer Ort der Menschlichkeit mitten in Paris“. 

Die Adamant ist eine auf der Seine schwimmende Tagesklinik. Jeden Morgen wird in versammelter Runde abgestimmt, was an diesem Tag passieren soll: Malerei, Musik, gemeinsames Kochen oder ein Film-Club. Dazu gibt es ein gemeinschaftlich betriebenes Café und die Gelegenheit für Gespräche.

Ein Ort, an dem Widerstand geleistet werde …

„L’adamant“ heißt auf Deutsch so viel wie der „Unnachgiebige“. Und der Regisseur transportiert eine passende Botschaft: Die Psychiatrie drohe zu entmenschlichen, das Boot sei ein Ort, an dem Widerstand geleistet werde in einer Zeit, in der die Politik dabei sei, die Psychiatrie im Stich zu lassen, kritisierte der Franzose im Rahmen einer Berlinale-Pressekonferenz. „Es hat nie ein goldenes Zeitalter gegeben, aber von allen Seiten hört man, dass die Psychiatrie am Ende ihrer Kräfte ist und von den Behörden völlig im Stich gelassen wird. Es ist, als ob wir die ,Verrückten’ nicht mehr sehen wollten. Über sie wird nur noch durch das Prisma ihrer Gefährlichkeit gesprochen, die zumeist herbeifantasiert wird“, sagte er in einem Interview. In diesem Kontext erscheine ein Ort wie die Adamant wie ein kleines Wunder, und man müsse sich fragen, wie lange er noch bestehen wird.

… und eines Tages kochen alle Marmelade.

Der Film gibt dem Wunder viel Raum. In 109 Minuten verfolgt die Kamera die Tagesabläufe verschiedener Nutzerinnen und Nutzer in langen Einstellungen und nimmt sie ernst in dem, wie sie sind und was sie tun, gibt ihnen eine Bühne.  Die einen malen, die anderen nähen, Francois schreibt immer – und eines Tages kochen alle Marmelade. 

Es geht übrigens weiter. Der Film ist Teil eines „Triptychons“: Ein zweiter, schon gedrehter Teil spielt in Esquirol, einer Krankenhauspsychiatrie, hier gibt es ein Wiedersehen mit einzelnen Adamant-Besuchern. Ebenso im dritten Film, der eine Sammlung von Hausbesuchen von Betreuerinnen bei Patienten zeigt.  A. Hinrichs

(Originalveröffentlichung in der EPPENDORFER-Printausgabe 5/23)

Ein schwimmendes Holzhaus

Im Presseheft heißt es über die Pariser Tagesklinik Adamant:

Die Adamant liegt am Quai de la Rapée, am rechten Seine-Ufer, nur einen Steinwurf vom Bahnhof Gare de Lyon entfernt. Sie ist ein „Tageszentrum“ und gehört zum Zentralen Psychiatrischen Verbund der Paris-Gruppe, zu der auch zwei CMPs (Centres Médicaux Psychologiques – Psychologische Medizinische Zentren), ein mobiles Team und zwei Abteilungen des psychiatrischen Krankenhauses Esquirol, das wiederum dem Krankenhauskomplex Saint-Maurice angegliedert ist, angehören. 

Die Adamant ist ein schwimmendes Holzgebäude mit einer Fläche von 650 qm und großen Fenstern, die sich zur Seine hin öffnen. Für den Entwurf arbeiteten die Architekten eng mit den Betreuer*innen und den Patient*innen der Einrichtung zusammen. Im Juli 2010 wurde sie eröffnet.

Manche Patient*innen kommen jeden Tag, andere nur ab und zu, in regelmäßigen oder unre-gelmäßigen Abständen. Sie kommen aus allen Altersgruppen und aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten. Der Tag beginnt mit einem Frühstück für alle Anwesenden. Am Montag findet ein wöchentliches Treffen statt, bei dem Betreuer*innen und Patient*innen zusammenkommen. Jede*r kann Punkte auf die Tagesordnung setzen, die er oder sie besprochen haben möchte, Neuigkeiten werden ausgetauscht, Projekte geplant: ein Theaterbesuch, der bevorstehende Besuch eines Gastes, ein Waldspaziergang, ein Konzert, eine Ausstellung…

Jeder kann sich einbringen …

Das Betreuungsteam besteht aus Krankenpfleger*innen, Psycholog*innen, Ergotherapeut*in-nen, einem Psychiater, einem Sekretariat, zwei Krankenhausmitarbeiter*innen und verschiedenen externen Mitarbeiter*innen mit unterschiedlichem Hintergrund. Die Aufgaben des täglichen Lebens werden kontinuierlich begleitet. Alle, sowohl die Patient*innen als auch die Betreuer*innen, sind eingeladen, daran mitzuhelfen, es „gemeinsam zu schaffen“.

Die therapeutische Funktion der Einrichtung betrifft die Gruppe als Ganzes. Jede*r kann sich einbringen, unabhängig von Status, Ausbildung, Platz in der Hierarchie, Persönlichkeit oder Lebensstil.  Es wird hier niemanden vor den Kopf stoßen, wenn eine Patientin der Person, die an diesem Tag die Bar leitet – sei es eine Betreuerin, eine Krankenschwester, ein „einfacher“ Praktikant oder ein anderer Patient -, wichtige Dinge anvertraut und dem Psychiater bei der Konsultation am nächsten Tag nicht viel sagt, denn das Team wird einen Weg finden, die verstreuten Informationen miteinander zu verknüpfen.

Es gibt zahlreiche Workshops: Nähen, Musik, Lesen, die Herausgabe einer Zeitung, einen Filmclub, Schreiben, Zeichnen und Malen, Radio, Entspannung, Lederarbeiten, Marmeladenherstellung, kulturelle Ausflüge… Aber die Patient*innen können auch einfach nur kommen, um dort einen Moment  zu verbringen, einen Kaffee zu trinken, sich willkommen und unterstützt zu fühlen und sich von der Atmosphäre des Ortes einfangen zu lassen. Die angebotenen Workshops erfüllen keinen Selbstzweck,  sie sind vielmehr eine Einladung, sich nicht zu Hause einzuschließen, sondern sich wieder mit der Welt  zu verbinden und die Beziehung zu ihr neu zu gestalten.