Cannabis: Erste
Lesung im Bundestag

Am Mittwoch (18 bis 18-45 Uhr) steht im Bundestag die erste Beratung des Cannabisgesetz-Entwurfs der Bundesregierung auf der Tagesordnung. Die CDU beantragt in einem Antrag, die Legalisierung zu stoppen. Experten, v.a. auch Psychiaterinnen und Psychiater, warnen vor den gesundheitlichen Auswirkungen von Cannabiskonsum (s. Bericht unten). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verteidigte den Vorstoß der Koalition zuletzt mit einem Mindestanspruch: Ziel sei es, den Konsum sicherer zu machen, „aber nicht mehr“. Die Ampel ziele damit im Prinzip auf einen „Korridor der Vernunft“. „Der Korridor der Vernunft ist, so weiter machen wie jetzt können wir nicht“, zitierte  die Ärztezeitung  den SPD-Politiker nach einem Expertengespräch mit Bürgerinnen und Bürgern  in Berlin. Nach den Bundestagsberatungen werde es schnell gehen, sodass der Cannabis-Konsum ab 2024 erlaubt sein werde.

Auch der Bundesrat hatte sich inzwischen zu Wort gemeldet und kritische Punkte aufgeführt: Laut einer „Unterrichtung“ der Bundesregierung  befürchtet der Rat unter anderem hohe finanzielle Folgebelastungen der Länder durch Kontroll- und Vollzugs- sowie Präventions- und Interventionsaufgaben. Als Beispiel angeführt wird die Kontrolle der Anbauvereinigungen. Der Bundesrat bezweifelt auch die wirksame Kontrolle des zulässigen Höchstwertes von THC (Tetrahydrocannabinol) und hält neue, hochpotente Cannabis-Sorten für möglich.Die praktische Umsetzung der geplanten Jugendschutzzonen im öffentlichen Raum und Schutzvorkehrungen im privaten Raum sei  ebenfalls kritisch zu hinterfragen.  

Bundesregierung teilt Bedenken des Bundesrats nicht

Die Bundesregierung teilt die Bedenken des Bundesrates zum Vollzugsaufwand nicht, wie aus der Unterrichtung hervorgeht. So sei voraussichtlich erst nach fünf Jahren die geschätzte Gesamtzahl von 3.000 Anbauvereinigungen erreicht. Die Länder könnten die Personal- und Sachmittelkapazitäten sukzessive anpassen. Zudem erwartet der Bund mit der Entkriminalisierung hohe Einsparungen der Länder durch weniger Strafanzeigen und weniger Strafverfahren. Die eingesparten Mittel könnten für die Überwachung der Anbauvereinigungen sowie für die Suchtprävention eingesetzt werden.

Aufklärung und Prävention sowie gesetzliche Vorgaben für die Anbauvereinigungen trügen zu einem umfassenden Gesundheits- und Jugendschutz bei, heißt es in der Unterrichtung weiter. (Quelle: Parlamentsnachrichten)

Die Einschätzung der Experten

Die Ansage der ExpertInnen – auch mit Blick auf eine weitere Belastung der psychiatrischen Versorgung – an die Ampel-Koalition bei einem Berliner Hauptstadtsymposium der Psychiatrie-Fachgesellschaft DGPPN war deutlich: „Lasst es lieber sein.“

 Prof. Dr. Jürgen Rehm, der in Toronto arbeitet, berichtete über die Erfahrungen mit der Freigabe von Cannabis in Kanada. Die Cannabis-Legalisierung sollte Public Health-Probleme über Kontrolle und Regulation reduzieren und dabei den Jugendschutz gewährleisten. Der Konsum habe sich aber über die höhere Verfügbarkeit erhöht, so Rehm, überwiegend durch ältere Menschen mit Vorerfahrung. Jugendliche konsumierten nur minimal mehr. Es gab deutlich weniger Festnahmen nach der Legalisierung und weniger Kriminalisierung. Aber: Jedes Jahr sterben 250 KanadierInnen wegen Cannabiskonsums im Straßenverkehr, ca. 100.000 werden wegen Gebrauchsstörungen behandelt (bei 39,5 Millionen Einwohnern). 

Bisherige Behandlungsergebnisse: „traurig”

Prof. Dr. Ursula Havemann-Reinecke, Leiterin des DGPPN-Referats „Abhängigkeitserkrankungen“, Senior Scientist an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Göttingen, nannte in ihrem Vortrag über Prävention und Behandlung der Cannabisabhängigkeit bisherige Behandlungsergebnisse „traurig“. Etwa zehn Prozent aller Cannabiskonsumenten entwickelten über die Lebenszeit eine Abhängigkeit (17 Prozent, wenn der Konsum in der Adoleszenz beginnt), und zwischen 50 und 90 Prozent aller cannabisabhängigen Personen hätten eine lebensgeschichtliche Diagnose einer weiteren psychischen Störung. Folgestörungen des regelmäßigen bis chronischen Konsums seien Cannabispsychose-, halluzinose- und -manie, kognitive Störungen, Amotivation, Flashbacks sowie soziale Entwicklungs- und Anpassungsstörungen. Bei akutem Konsum könne es zu komplizierter Intoxikation mit Panikattacken, Psychose oder Delirium kommen, auch somatische Folgeschäden könnten auftreten.

Was bedeutet dies alles für die Legalisierung? „In allen Ländern, in denen Cannabis legalisiert wurde, sind nach einem Bericht der UN von 2022 die cannabisbezogenen Gesundheitsprobleme zwischen 2000 und 2018 angestiegen“, warnte Havemann-Reinecke. So stiegen etwa die Aufnahmen bezogen auf cannabisbezogene psychotische Erkrankungen um das 4-fache, bei Abhängigkeit und Entzug um das 8-fache. In den Suchthilfeeinrichtungen in Deutschland seien die Zahlen von Personen mit einer cannabisbezogenen Störung steigend. Sie zeichneten sich durch junges Alter, geringes Bildungsniveau und hohe Arbeitslosigkeitsquote aus, stationär wiesen die Cannabispatienten eine hohe Zusatzbelastung durch multiplen Substanzgebrauch auf. Die Abstinenzraten seien schlecht, sie lägen nur zwischen 10 und 50 Prozent. Nach deutschen und internationalen Daten werde etwa die Hälfte dieser Patienten innerhalb eines Jahres nach Ende der Behandlung wieder rückfällig. 

Zusammenhang zwischen frühem Drogengebrauch und späterem aggressiven Verhalten

Prof. Dr. Dr. Hannelore Ehrenreich, Leiterin der Klinischen Neurowissenschaften am Göttinger Max‐Planck‐Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften, sprach sich bei ihrem Vortrag über die Cannabisabhängigkeit klar gegen die geplante Legalisierung aus.  Die Feldstudie GRAS (Göttingen Research Association for Schizophrenia) untersuchte den Zusammenhang von Schizophrenie und Cannabis, 2000 Patienten mit Schizophrenie wurden dafür rekrutiert, ca. 3000 phenotypische Datenpunkte pro Patient ermittelt. Es zeigte sich, das Umweltfaktoren von enormer Bedeutung für den Krankheitsverlauf und den Beginn der Erkrankung bis zum Alter von 18 Jahren sind. Ergebnisse: Multiple Umwelteinflüsse (Trauma, Drogen etc.) vor dem Erwachsenenalter prognostizieren dosisabhängig einen früheren Schizophrenie-Ausbruch. Bezogen auf den Cannabisgebrauch bedeute dies: Mit jeder höheren Stufe des Konsums beginnt der Krankheitsbeginn früher. Ein besonders schockierendes Ergebnis der Studie: Je mehr Risikofaktoren auf den Jugendlichen zutrafen, desto größer war auch die Wahrscheinlichkeit, dass er später gewalttätig oder kriminell wurde. Es bestünde ein Zusammenhang zwischen einem frühen Drogengebrauch im Jugendalter und späterem aggressiven/kriminellen Verhaltens bei schizophrenen Menschen. 

„Elitediskussion” – Betroffene eher aus sozial schwachen Familien …

Prof. Dr. Falk Kiefer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie e. V. (ZI Mannheim) schimpfte über die „Elitediskussion“, denn 90 Prozent der Menschen würden Cannabis nicht nehmen. „Die haben eher die Sorge, dass ihre Kinder Cannabis konsumieren und Schäden erleiden. Für die zehn Prozent, die ihr Gras rauchen wollen und nun entkriminalisiert werden, nehmen wir in Kauf, Kinder und Jugendliche einem Risiko auszusetzen. Es werden mehr von ihnen in der Psychiatrie landen“. Dort gebe es schon jetzt zu wenig Personal. „So etwas muss vorher kalkuliert werden. Stattdessen werden bereits in den Kommunen Stellen bei der Suchtberatung eingespart.“

Andreas Lindenberg stimmte zu, das bisherige Schutzkonzept sei ein Witz. Die Pläne seien unsozial, zumal die Betroffenen eher aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien kämen. „Bisher ist nichts im Präventionsbereich überzeugend. Die für die Legalisierung notwendigen Versorgungsstrukturen gibt es im Moment nicht.“ (Leicht gekürzter Beitrag von Michael Freitag – Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 5/23)