Tschirtner in Gugging

Oswald Tschirtner 1983. Foto: Museum Gugging/Johann Feilacher

Nach Ausstellungen zu August Walla und Johann Hauser zeigt das museum gugging unter dem Titel „oswald tschirtner.! das ganze beruht auf gleichgewicht“ zum 100. Geburtstag „des großen stillen Gugginger Künstlers” noch bis zum 27. September 2020 die dritte große Personale in der Geschichte des Museums. Die 260 Werke spannen den Bogen von Klein- zu Großformaten und spiegeln seine sehr unterschiedlichen Schaffensperioden und Facetten eines der erfolgreichsten Gugginger Künstler wider.

In der Kriegsgefangenschaft erkrankt

„Oswald Tschirtners Weg zum Künstler war nicht vorgezeichnet. Gleichzeitig war er bis ins hohe Alter in der Lage, Neues zu entwickeln“, erklärt Johann Feilacher, künstlerischer Leiter des museums gugging und Kurator der Ausstellung. „Darüber hinaus ist kaum ein Künstler mit Gugging so verbunden: In französischer Kriegsgefangenenschaft im Zweiten Weltkrieg psychisch erkrankt, war er fünf Jahrzehnte in Gugging, zunächst in der N. Ö. Landes-Heil- und Pflegeanstalt und dann über zwei Jahrzehnte im Haus der Künstler, wo ich ihn auch betreuen
durfte“, so Feilacher. Oswald Tschirtner starb 2007 in Maria Gugging.

„Mit seinem geschlechtslosen Kopffüßler lehrt uns Oswald Tschirtner die Konzentration auf das Wesentliche und zeigte zugleich, wie er sich fühlte“, so Feilacher weiter.

„Er zeichnete immer auf Aufforderung und erledigte den Auftrag möglichst schnell. Seine Religiosität – er wollte eigentlich Priester werden – gab ihm Halt. Der Ausstellungstitel ‚das ganze beruht auf gleichgewicht‘ ist der Titel von zwei Zeichnungen. Auf der einen Seite war es ihm nicht wichtig, was andere Menschen über ihn und seine Kunst dachten. Auf der anderen Seite war der Frieden mit seiner Umwelt sein höchstes Ziel.“

Johann Feilacher

Zahlreiche Veranstaltungen wie Fokusführungen, der Gugginger Guglhupf, die offene Kreativwerkstatt oder Eltern-Kind-Kreativ begleiten die Ausstellung, die in nur 34 Minuten von Wien Heiligenstadt bequem öffentlich erreichbar ist. Begleitet wird die Sonderschau des Weiteren von einem 468 Seiten starken Ausstellungskatalog mit Beiträgen von Nina Ansperger, Johann Feilacher, Maria Höger, Nina Katschnig und Lisa Windischbauer, der all seine Facetten als Zeitgenosse und Künstler beleuchtet.

Noch bis zum 6. September 2020 ist auch die passende Ausstellung in der galerie gugging zu sehen: „… weiblich mächtig – männlich zart …“ misleidys castillo pedroso & oswald tschirtner stellt das Werk Oswald Tschirtners der jungen zeitgenössischen kubanischen Art-Brut-Künstlerin auf anregende, sich beinahe ergänzende Art und Weise gegenüber.

Noch bis 11. April 2021 wird die Ausstellung „gehirngefühl.! kunst aus gugging 1970 bis zur gegenwart“ gezeigt, die einen guten Überblick über die bunte Landschaft der Gugginger Künstlerinnen und Künstler gibt.

(rd)

Die Gugginger und ihr Museum

Johann Hauser, August Walla, Oswald Tschirtner sind nur einige der Künstler aus Gugging, die heute weltbekannt sind. Ihre Werke  sind neben der Collection de l‘Art Brut in Lausanne auch in vielen Museen zeitgenössischer Kunst wie dem mumok museum für moderne kunst stiftung ludwig wien, der Sammlung Essl oder dem Linzer Lentos Museum vertreten. International wird die Kunst aus Gugging unter anderen im Philadelphia Museum of Art, dem Milwaukee Art Museum oder dem Setagaya Museum in Tokyo gesammelt und ausgestellt.

Die erste Generation der Künstler ais Gugging waren Patienten der Nervenheilanstalt Maria Gugging. In den 1950er-Jahren wurden sie von ihrem Psychiater Leo Navratil zum Zeichnen angeregt. Navratil interessierte zu Beginn der diagnostische Wert der Arbeiten, bald aber erkannte er die besondere Begabung einiger Patienten und begann diese zu fördern und ihre Arbeiten der Kunstwelt vorzustellen.

In den 1960er-Jahren setzte eine erste Hochperiode der Künstler aus Gugging ein, 1970 fand ihre erste Ausstellung in der Galerie nächst St. Stephan in Wien statt. Unzählige KünstlerInnen waren und sind fasziniert von der Kunst aus Gugging und suchen bis heute die kreative Auseinandersetzung damit: Arnulf Rainer, Alfred Hrdlicka, Eduard Angeli, Peter Pongratz, Franz Ringel, Loys Egg, Friederike Mayröcker, Ernst Jandl, André Heller und andere waren früh an einer Auseinandersetzung interessiert. David Bowie besuchte Gugging im Jahr 1994, der Modeschöpfer Christopher Kane fand 2016 Inspiration für eine seiner Kollektionen. (Quelle: www.museumgugging.at)

Das Museum Gugging in Niederösterreich wurde 2006 in einem ehemaligen Krankenhausgebäude als  Ausstellungsort für Art brut  eröffnet.