Zwischen Seele
und Darm

Haben mehr miteinander zu tun als gedacht: Seelische Erkrankungen und Verdauung. Foto: Unsplash

“Das hat mir auf den Magen geschlagen”, sagen wir im Volksmund, wenn uns schwierige Erlebnisse belasten, und mitunter sprechen Kinder von “Bauchweh”, wenn sie traurig sind. Die Verbindung zwischen Seele und Darm wird mittlerweile aber auch von wissenschaftlichen Fakten untermauert. Mikroorganismen bevölkern zahlreich unseren Darm, sie finden dort optimale Lebensbedingungen und sind für die Verdauung unverzichtbar. Sie filtern Giftstoffe aus und können Vitamine und Aminosäuren herstellen. Es herrscht also eine Symbiose zwischen Mikroorganismen und Mensch. Über diverse Signalketten sind Gehirn und Darm verbunden und können sich somit gegenseitig beeinflussen. Aber können sie auch helfen, schwere psychische Erkrankungen besser zu bewältigen? Gregor Hasler, Professor für Molekulare Psychiatrie in Freiburg, meint ja und vermittelt mit seinem Buch „Die Darm-Hirn-Connection“ Hoffnung: Er sieht für viele, auch schwere psychische Erkrankungen, ganz jenseits von Medikamenten, allein über die individuelle Ernährung, Einflussmöglichkeiten.

Kernpunkt Mikrobiom

In lockerem Plauderton erzählt der Autor von Fresszellen und Darmschlingen und erläutert die Vorgänge anhand seiner persönlichen Erlebnisse sowie von weiteren Fallbeispielen. Kernpunkt des Buches ist das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit der Mikroorganismen im Darm. Das sich keinesfalls nur auf die Verdauung auswirkt, sondern auch im Zusammenhang z.B. mit Angststörungen, Depressionen, Demenz oder Schizophrenie steht. Ob die veränderte Darmflora dabei Folge oder Ursache der psychischen Probleme ist, lässt sich kaum beurteilen, aber in jedem Fall besteht eine nachweisbare Wechselwirkung. Eindrücklich beschreibt Hasler, was für eine dünne Zellschicht den Darm von der Umgebung abgrenzt und erinnert zugleich an den Begriff des dünnhäutigen Menschen.

Gluten zu Unrecht unter Verdacht

Dabei warnt Hasler davor, allzu einfache Schlüsse zu ziehen und bestimmte Lebensmittel generell zu verdammen. So ist etwa das Getreideprotein Gluten zu Unrecht in die allgemeine Kritik geraten. Nur wer an Zöliakie, also einer Entzündung der Darmschleimhaut, leidet, soll auf Gluten verzichten. Für andere Personen hat der Glutenverzicht sogar negative Auswirkungen. Überhaupt beschreibt der Autor immer wieder, dass Ernährung etwas sehr Individuelles ist.

Volksdroge Zucker

Haslers Ziel ist es, Zusammenhänge aufzuzeigen und nicht allgemeine Regeln zu vermitteln, weshalb er auch sich widersprechende Studien anführt. Wer ständig niedergeschlagen oder unausgeglichen ist, sollte jedenfalls nicht nur an einen Psychotherapeuten, sondern auch an eine Ernährungsumstellung denken. Die Volksdroge Zucker zu reduzieren ist dabei meist schon eine gute Idee, aber ebenso können Unverträglichkeiten zu psychischen Belastungen führen.

Verdauung begeistert

Im Verlauf des Buchs verfolgt der Autor den Weg des Speisebreis vom Mund bis zum Stuhlgang, berichtet begeistert und ohne Ekel von den vielfältigen Verdauungsprozessen. Ernährung endet eben nicht bei der Auswahl scheinbar gesunder Lebensmittel, sondern muss immer den ganzen Menschen im Blick haben. Auch die zeitweise so verteufelten Fette haben ihre Bedeutung, und mancher unstillbare Appetit hängt damit zusammen, dass dem Organismus schlicht etwas Wichtiges fehlt.

Eigene Erfahrungen

Anlass für Haslers intensive Beschäftigung mit Darm und Psyche waren seine eigenen Erfahrungen als Jugendlicher mit leidvollen Bauchschmerzen. Dabei begegneten ihm Ärzte, die seine Beschwerden allein auf seelische Probleme zurückführen wollten, ebenso wie solche, die nur den Körper untersuchten. Schnell begriff Hasler, dass es wichtig ist, Seele und Darm für jede Diagnose gemeinsam zu betrachten. Als Psychiater hatte er außerdem diverse Patienten mit Essstörungen in Behandlung, wodurch er weitere Einblicke in die Verbindung von Seele und Verdauung gewann.

Das Buch ist anschaulich geschrieben, wenn z.B. die Immunzellen Räuber Hotzenplotz jagen, liest sich die wissenschaftliche Lektüre durchaus amüsant. Manchmal ist es aber nicht ganz einfach zwischen all den Beispielen und persönlichen Erlebnissen noch die eigentlichen Erkenntnisse zu entdecken. Um tiefer in das Thema einzusteigen, bietet Hasler eine Fülle an Literaturzitaten.

Keine Gebrauchsanweisung

Wer eine einfache Gebrauchsanweisung sucht, um die Seele durch Fastenkuren oder Joghurt zu heilen, wird in dem Buch nicht fündig. Aber die Erkenntnisse legen nahe, dass die richtigen Nahrungsmittel zur richtigen Zeit eine Möglichkeit sind, unser körperliches und seelisches Wohlbefinden zu verbessern. Eine Ernährungsumstellung ist allerdings oft leichter gesagt als getan, nicht nur Demenz-Patienten reagieren mitunter ablehnend auf ungewohnte Angebote. Es bleibt zu hoffen, dass die Erkenntnisse zur Darm-Hirn-Verbindung der ganzheitlichen Sicht auf den Menschen neuen Schwung verleihen.

Verena Liebers


Gregor Hasler: „Die Darm-Hirn-Connection – Revolutionäres Wissen für unsere psychische und körperliche Gesundheit“, Schattauer Verlag, Reihe Wissen & Leben, 7. Druckaufl. 2019, 301 Seiten, ISBN: 978-3-608-40002-1, 20 Euro.

(Originalveröffentlichung: EPPENDORFER 3 /20)