Stottern: Wenn die
Worte „hüpfen”

Therapieleiterin Kristina Anders des Instituts der Kasseler Stottertherapie in Bad Emstal, hier mit einem Modell eines Kehlkopfes in der Hand. Foto: epd/ medio.tv/schauderna

Jedes 20. Schulkind stottert. Je früher man mit einer Therapie beginnt, desto besser, sagen Experten. Der siebenjährige Henri kann mittlerweile selbstbewusst sprechen.

„Ba-ba-ba-nane“ – so kann es klingen, wenn Henri spricht. Der Siebenjährige stottert. Früher hat er darauf mit viel Frust reagiert, wie seine Mutter Melanie Heuser erzählt. Heute sage er: „Meine Worte hüpfen eben manchmal.“ Er könne sein Stottern mittlerweile besser kontrollieren. Mit seinen Eltern hat er am „Frankini“-Programm der Kasseler Stottertherapie teilgenommen. Es wurde von dem Bad Emstaler Institut für Drei- bis Sechsjährige entwickelt, um ihnen zu helfen, frühzeitig flüssigeres Sprechen zu erlernen. Das Besondere: Die Eltern werden online zu Experten in Sachen Stottern gemacht.


„Sprechunflüssigkeiten lassen sich im jungen Alter gut behandeln. Je früher man damit beginnt, desto besser“, sagt Therapieleiterin Kristina Anders. Sie erklärt, dass in den ersten Lebensjahren die Sprachentwicklung schnell Fortschritte mache: Kinder redeten drauflos und verhaspelten sich dabei auch. Nicht alle Sprechunflüssigkeiten verschwänden jedoch von alleine: Heute unterscheide man schon bei sehr jungen Kindern, ob es sich um normale, nicht behandlungsbedürftige Unflüssigkeiten handele oder ob das Kind stottere. Etwa jedes 20. Schulkind ist den Angaben zufolge betroffen.


Stottern beginnt meist im Alter zwischen zwei und fünf Jahren, wie der Bundesverband für Logopädie erklärt. Manche Kinder würden beim Stottern lauter, bewegten den Kopf mit, andere versuchten, sich selbst zu helfen, indem sie flüsterten oder im Singsang sprächen. Das Eltern-Kind-Programm „Frankini“ dauert ein Jahr. „Es verbindet eine Onlineschulung mit einer Präsenztherapie“, erläutert Anders. Die Eltern werden online so weit geschult, dass sie im Alltag mit ihren Kindern am Sprechen arbeiten können. Sie erfahren auch, woher Stottern kommt: „Es kann vererbt werden und hat eine neurologische Komponente.“

Manchmal traurig und still, manchmal wütend …


In der Therapie geht es außerdem darum, zu verstehen, wie belastend Stottern für die Kinder ist. Das hat auch Melanie Heuser bei ihrem Sohn miterlebt. Manchmal sei er traurig und still gewesen, manchmal habe er vor Wut mit Schuhen geschmissen. Auch wenn das Stottern nicht heilbar sei, so habe sich im Verlauf der Therapie die Situation für ihren Sohn deutlich verbessert, sagt sie: „Henri geht viel entspannter und selbstbewusster damit um.“
Auf Anraten der Kinderärztin hätten sie und ihr Mann erst über die Sprechunflüssigkeiten hinweggesehen: „Mit dem Effekt, dass Henri zwar merkte, dass etwas nicht in Ordnung war, sich aber nicht ausdrücken konnte und frustriert war.“ Heute könne er benennen, was beim Sprechen nicht stimme, alles gehe leichter.

Die Frankini-Therapie wird seit 2019 von der Kasseler Stottertherapie angeboten. Gegründet wurde das Institut 1996 von dem Arzt Alexander Wolff von Gudenberg, der selbst mit vier Jahren zu stottern begann. Die Online-Angebote gibt es nicht erst seit der Coronazeit: Seit 2014 werden neben Präsenz- auch Onlinetherapien für Jugendliche und Erwachsene angeboten. „Henri hat jetzt eine Technik in der Hosentasche, die er anwenden kann, wenn er sie braucht“, sagt Melanie Heuser. „Er ist jetzt selbstbewusst genug, auch mal zu stottern. Er weiß, dass das okay ist.“ Kristina Anders bestätigt: Es gehe darum, Stottern als Teil des Sprechens zu akzeptieren, zu wissen, dass man dem nicht ausgeliefert sei und etwas tun könne. Stotternde wüssten genau, was sie sagen möchten, könnten es nur nicht fließend aussprechen, so formuliert es die Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe e.V. : „Wir ringen also nicht mit den Worten, sondern mit dem Sprechen.“ Außenstehenden rät die Selbsthilfevereinigung: Im Gespräch mit stotternden Menschen sei es wichtig, Blickkontakt zu halten, das Gegenüber aussprechen zu lassen – und geduldig zuzuhören. Helga Kristina Kothe (epd)