Zwischen No-Future
und Graswurzel

Zwei Drittel der Deutschen blicken einer aktuellen Untersuchung zufolge ängstlich auf die gesellschaftliche Zukunft. Symbolfoto: pixabay

Zwei Drittel der Deutschen blicken ängstlich auf die gesellschaftliche Zukunft.” Die größte Zukunftsangst betrifft den sozialen Klimawandel. Mangelndes Vertrauen in Staat und Institutionen sowie die Angst vor gesellschaftlicher Spaltung forcierten den Rückzug in private Nischen. Es wachse aber auch die Bereitschaft, allein oder mit Gleichgesinnten für eine lebenswerte Zukunft tätig zu werden. Das sind zentrale Erkenntnisse
einer repräsentativen und tiefenpsychologischen Untersuchung des rheingold instituts in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung für Philosophie Identity Foundation in Düsseldorf.
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Durch die Allgegenwart schwerer Krisen sei die Bevölkerung verunsichert, das Vertrauen in eine bessere Zukunft fundamental erschüttert: „Die Mehrheit der Deutschen befindet sich in einem „No- Future“-Modus“, so die Studienautoren. Gesellschaftlichen Herausforderungen und anstehenden Umbrüchen begegne eine Mehrheit mit einer resignativen Grundhaltung. Das Vertrauen, dass Staat, Politik, Institutionen und Parteien die Krisen lösen
können, sei erodiert: Nur 26 Prozent stimmt – der Untersuchung zufolge – das Wirken von Politik und Parteien optimistisch für die Zukunft. Die Wahrnehmung einer gesellschaftlichen Mehrheit laute: „Deutschland steht vor einem Niedergang“ (61 Prozent) und „durch Krisen wie Corona und den Klimawandel stehen uns drastische Veränderungen bevor“ (88 Prozent). 90 Prozent sagten, sie beobachteten eine immer stärker werdende soziale Spreizung in Arm und Reich, und 91 Prozent nehmen eine zunehmende Aggressivität in der Gesellschaft wahr.

Viele ziehen sich in ihr privates Schneckenhaus zurück

Daher zögen sich viele zunehmend in ihr privates Schneckenhaus oder ihre persönlichen Nischen zurück. „Die Menschen verschanzen sich in kleinen Wirkungskreisen mit Gleichgesinnten und versuchen in ihren persönlichen Umfeldern zu retten, was noch zu retten ist“, sagt Stephan Grünewald, Psychologe und Gründer des auf tiefenpsychologische Forschung spezialisierten rheingold instituts. Das eigene Ich, die Familie oder das unmittelbare soziale Umfeld stehen im Fokus. Private „Nischen-Projekte“, das Kümmern um die eigene Welt und das Streben nach dem persönlichen kleinen Glück stehen in der Folge hoch im Kurs.

Im Hinblick auf die konkreten privaten Zukunfts-Strategien wurden sechs Zukunfts- Typen differenziert. Das Spektrum reicht von den „Eingekapselten“, die Zukunftsfragen am liebsten ausblenden oder die Vergangenheit verklären, über die „Tribalisten“, deren Aktionsradius in der Nachbarschaft oder im Verein endet, bis hin zu den „Missionierenden“, die sich einer weltrettenden Ideologie wie zum Beispiel dem Veganismus verschreiben.

Im Kleinen zeige sich auch eine hoffnungsstiftende Graswurzel-Mentalität. Im eigenen Schaffen erleben viele Befragte Selbstwirksamkeit und Fortschritte. Nachbarschaftliche Initiativen, veränderte Ernährungs- und
Konsumgewohnheiten, soziale und ökologische Netzwerke oder postkapitalistische Geschäftsmodelle finden immer mehr Aufmerksamkeit in der Welt der Befragten.

*Im Rahmen der qualitativen Zukunfts-Studie wurden jeweils 64 Wähler*innen in zweistündigen psychologischen Tiefeninterviews befragt. Untermauert wurden die Erkenntnisse durch eine deutschlandweit repräsentative quantitative Befragung, so die Studienautoren. Die vollständige Studie findet sich hier.