„Verschwiegene
Gewalt”

Erziehungswissenschaftlerin Friederike Lorenz verwies in ihrem Vortrag auf das Begleitbuch zur Ausstellung der KulturAmbulanz über Gewalt gegen Heimkinder. Foto: Riehl-Halen

Wer von Gewalt in Erziehungseinrichtungen hört, denkt an das niedersächsische Kinderheim Freistatt oder Anstalten des Nationalsozialismus. Dass Gewalt und Unterdrückung in Heimen jedoch kein Relikt aus vergangenen Zeiten sind, verdeutlichte, Friederike Lorenz anschaulich in ihrem Vortrag „Verschwiegene Gewalt“ im Haus im Park am Klinikum Bremen-Ost.

Bei der Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung  „Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen“  stellte die Erziehungswissenschaftlerin der FU Berlin neben einem historischen Überblick ausführlich einen aktuellen Fall verbaler und körperlicher Gewalt dar, der sich zwischen 2005 und 2008 in der nordrheinwestfälischen Erziehungsstelle der stationären Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche „Liacon“ ereignet hat.

Beindruckend an dem Vortrag erschien, wie perfide Mitarbeiter demnach ihre Autorität systematisch unter dem Deckmantel eines Erziehungskonzeptes in zwei Wohngruppen der Einrichtung missbrauchten. Die überwiegend geistig behinderten neun bis sechzehn Jährigen mussten nach einem ausgeklügelten Bestrafungs- und Belohnungssystem auf Nahrung verzichten, wurden isoliert oder stundenlang auf einem Stuhl festgehalten. Wer das sektenähnliche Erziehungskonzept kritisch hinterfragte, wurde vor Vorgesetzten als pädagogisch unwissend diskreditiert. Auf diese Weise bauten die erzieherischen Täter eine Schweigespirale gegenüber Kollegen, Eltern und Außenstehenden auf, die ihre Unterdrückung und Gewalt ermöglichte sowie jeglichen Eingriff in ihr System verhinderte.

Im Anschluss an den Vortrag moderierte Dr. Kirsten Kappert-Gonther (MdB, B´90/Die Grünen, Bremen) eine lebhafte Diskussion, bei der sich zeigte wie auch Besucher Vorstufen solcher Verhaltensweisen in ihrem Alltag erlebten und wie leicht Gewalt in Erziehungssituationen entstehen kann. Eine Veranstaltung, die vielen Teilnehmenden unter die Haut ging.

                                                                                            Dr. Heidrun Riehl-Halen 

Die Ausstellung über die Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933-1945 in der KulturAmbulanz am Klinikum Bremen-Ost läuft noch bis zum 24. Februar 2019. Informationen zur Ausstellung und zum Rahmenprogramm unter: www.kulturambulanz.de.

Ein weiterer, ausführlicherer Bericht folgt in der EPPENDOFER-Print-Ausgabe 2/2019.

Unsere Serie über 70 Jahre Heimgeschichte lesen Sie hier:

 

Serie Heimkinder V: Reform von oben mit viel Druck von unten