Fixierung vor Gericht

Fixierbett mit Gurten in einer norddeutschen Psychiatrie. Foto: Hinrichs

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verhandelte am 30. und 31. Januar mündlich über zwei Verfassungsbeschwerden von Patienten, die beim Aufenthalt in psychiatrischen Einrichtungen gegen ihren Willen ans Bett gefesselt wurden (Aktenzeichen: 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16). Dabei ging es insbesondere um die Frage, ob vor der Fixierung die Zustimmung eines Richters eingeholt hätte werden müssen. Die Betroffenen sehen in der Maßnahme eine Verletzung ihres Grundrechts auf Freiheit der Person aus den Artikeln 2 und 104 des Grundgesetzes. Geklärt werden muss, wer eine Fixierung anordnen darf –  Arzt oder Richter – sowie ob die Ländergesetze Fixierung ausreichend regeln.  Das Urteil wird in einigen Monaten erwartet.

                                            Was wurde verhandelt?

In dem einen Fall ging es um einen Mann aus Baden-Württemberg, der an einer schizo-affektiven Störung leidet und 2015 in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung zwangsuntergebracht war,  wo er immer wieder ans Bett gefesselt wurde.  Er soll Geschirr und Möbel zertrümmert, Mitarbeiter beschimpft und die Polizei mit Bomben bedroht haben, so www.Tagesschau.de. In dem zweiten Fall aus Bayern war ein Patient von der Polizei aus seiner Wohnung in die Klinik gebracht, wo er rund zwölf Stunden blieb, von denen er acht Stunden  an Armen, Beinen sowie an Bauch, Brust und Stirn acht Stunden ans Krankenbett gefesselt worden war.  Grund für seine vorläufige Unterbringung sei drohende Selbstgefährdung gewesen:  Der Mann habe  2,68 Promille im Blut gehabt, sei von seinem Partner verlassen worden und habe Suizidgedanken geäußert.  Im beiden Fällen hatten jeweils Ärzte die Fixierung angeordnet. Das entspricht der Rechtslage in Baden-Württemberg vor. In Bayern gibt es bisher kein spezielles Gesetz für die Fixierung.  Allerdings wurde hier bereits eine Reform angekündigt.

Das Gericht hörte u.a. Prof. Peter Brieger an, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums  München.  Neben psychisch Kranken würden auch Alkohol- und Drogenkonsumenten oft von der Polizei mit Handschellen in die Klinik gebracht, sagte er laut einem Bericht der taz. „Es gibt neue psychoaktive Substanzen, da toben die Betroffenen ein bis zwei Tage und sind extrem aggressiv”, zitierte das Blatt den Psychiater. Zudem informierten sich die Richter über den alternativen Weg, den Großbritannien im Fall von Aggressionen bei Patienten einschlägt. Dort wird nicht fixiert. Statt dessen „stürzen sich jeweils vier gut trainierte Pfleger auf einen tobenden Patienten und halten ihn so lange fest, bis er sich beruhigt hat”, so die taz. „In 25 bis 50 Prozent der Fälle bekommt der Patient dann gegen seinen Willen eine Spritze zur Beruhigung“, zitierte sie Peter Lepping vom Centre for Mental Health and Society.

Dr. Martin Zinkler, Chefarzt an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im Klinikum Heidenheim, erklärte in seiner mündlichen Stellungnahme vor dem BVerfG: „Wir könnten auf Fixierungen sogar völlig verzichten, wie es in England üblich ist, wenn wir 12 zusätzliche Vollzeitstellen in der Krankenpflege hätten, das wäre ein Personalzuwachs von 30 Prozent in der Pflege und würde die stationäre Behandlung um 10 Prozent teurer machen. Wie geht das: wir hätten damit die personellen Ressourcen um die Leute solange festzuhalten, bzw. 2:1 oder 3:1 Betreuungen durchzuführen, bis sie nicht mehr gefährlich sind.” Als Vorbild dafür, wie es auch ohne wesentlich mehr Personal anders gehen kann, verwies Winkler auf das Marinehospital Nickel, das die psychiatrische Versorgung der Stadt Herne (200.000 Einwohner) leistet. Dort seien seit mehr als zwanzig Jahren weniger als 1 Prozent der stationär behandelten Patienten von Zwangsmaßnahmen betroffen. „Dabei ist die Klinik personell nicht einmal besonders gut ausgestattet. Allerdings wird dort seit mehr als 40 Jahren auf offene und humane Psychiatrie gesetzt.”

                     Was ist zu tun? Das Statement der Fachgesellschaft            

 Zur Vermeidung und Reduzierung von Zwangsmaßnahmen sei eine qualitativ und quantitativ ausreichende Personalausstattung unverzichtbar. Das machte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), Prof. Dr. med. Arno Deister, deutlich, der in Karlsruhe die Position der Fachgesellschaft vortrug und Versorgungs-Verbesserungen forderte. „Wenn zu viele Patientinnen und Patienten auf zu wenig Raum mit zu geringer Personalausstattung untergebracht sind, kann dies zur Entstehung von Gewalt beitragen”, so Deister laut einer DGPPN-Pressemitteilung. Das Personal müsse zudem umfangreich in Deeskalationstechniken geschult werden. Die DGPN fordert ferner,  Zwangsmaßnahmen künftig bundesweit einheitlich und für alle Bereiche der Medizin zu erfassen. Die Fachgesellschaft spricht sich zudem für eine weitgehende Angleichung der äußerst heterogenen Länder-Regelungen aus, die sie auf ihrer Homepage in ihren Kernpunkten  nebeneinanderstellt (www.dgppn.de). Noch in diesem Jahr soll eine wissenschaftliche S3-Leitlinie zur Vermeidung von Zwangsmaßnahmen veröffentlicht werden.

                                                               Zahlen

Zahlenangaben zum Thema Zwang und Fixierungen in Deutschland sind uneinheitlich bzw. sehr lückenhaft. Viele Kliniken erheben keine Daten. In Baden-Württemberg gibt es inzwischen ein landesweites Register für Zwangsmaßnahmen, sagte Dr. Martin Zinkler in seine Stellungnahme. 2015 habe es demnach bei 110 000 stationären Aufnahmen 30 389 einzelne Maßnahmen gegeben, womit 6,7 Prozent der Patienten betroffen gewesen seien und manche öfter als einmal fixiert worden seien. Auf Deutschland hochrechnet, müssten das bei 800 000 stationären Aufnahmen etwa 221 000 Maßnahmen im Jahr sein, rechnete Winkler hoch. Er sprach sich für eine richterliche Entscheidung über Fixierungen aus, da es sich um einen Grundrechtseingriff handele, „zumindest wenn sie länger als vier, fünf Stunden dauert.” Ähnlich äußerte sich in einem Kommentar der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl. Die Regeln im Strafvollzug seien, auch für die Fesselung und für sonstige Formen extremer Sicherungsmaßnahmen, klarer und rechtsstaatlicher als die in der Psychiatrie. „Die Psychiatrie braucht also eine Ver-Rechtsstaatlichung.”

                                                            Lesetipp: 

Dürfen Ärzte Patienten in Psychiatrien fixieren?  Andreas Heinz, Psychiatrie-Direktor in Berlin, spricht im Interview mit der faz über „ein notwendiges Übel, Patienten, die Pfleger mit Glasscherben angreifen – und Gesetze, die er katastrophal findet.” : http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/fixierung-von-patienten-was-soll-man-da-um-gottes-willen-machen-15424698.html?GEPC=s3

                                                 Die Situation in Hamburg

Hamburg erfasst sei 2014 mit einem Formblatt systematisch Zwangsmaßnahmen in seinen psychiatrischen Kliniken. Jüngste Angaben weisen hier auf geringe Schwankungen – und einen prozentualen Anteil von rund 3 Prozent aller klinischen Behandlungsfälle, in denen fixiert, isoliert oder zwangsweise mit Medikamenten behandelt wird. Mit weitergehenden Erkenntnissen zu Hintergründen sowie Möglichkeiten von Reduktion und Vermeidung von Zwang in ganz Deutschland wird Mitte 2019 gerechnet, wenn die Ergebnisse zweier Forschungsprojekte* vorliegen, die das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben hat.

Die Hamburgische Bürgerschaft hatte bereits 2013 – im Zuge der Verabschiedung der gesetzlichen Neuregelungen für den Maßregelvollzug sowie das Hamburgische PsychKG – festgelegt, dass Zwangsmaßnahmen evaluiert werden müssen. Bis dato wurde der Anteil Zwangsbehandelter in deutschen Psychiatrien insgesamt auf etwa zehn Prozent geschätzt. Hamburg liegt deutlich darunter, wie eine aktuelle Mitteilung des Senats vom 14. November 2017 zeigte (s. Drucksache 21/10976). Die Prozentzahl von 3,1 Prozent aus den ersten Erhebungen ab 2014 bestätigte sich 2015 (3,3) und 2016 (3,4) – bei steigenden Fallzahlen (2015: 24.033, 2016: 24.187).

In Zahlen bedeutet dies, dass 2015 insgesamt 802 Menschen und 2016 gesamt 832 Menschen zwangsweise behandelt wurden. Es handelte sich dabei zu über 60 Prozent um Männer, die zu über 50 Prozent der Altersklasse 18 bis 45 angehören. Am häufigsten kam es zu Fixierungen – 2015 insgesamt 582 mal (2016: 589), was 2,4 Prozent der Fälle entspricht. Gesamtdauer aller Fixierungen in 2015: 17.391 Stunden.

Isolierungen wurden nur halb so häufig angeordnet. Dabei wird dies von Betroffenen gegenüber Fixierungen deutlich (70 Prozent) bevorzugt, wie eine Befragung jugendlicher Patienten einer geschlossenen Station in Israel ergab. Das deutlich mehr fixiert als isoliert wurde, erklärt sich der Senat mit der hohen Zahl an zwangsbehandelten jüngeren Männern. Hier gehe es häufig um fremdaggressive Verhaltensweisen, etwa im Zuge einer Psychose, sodass einfache Isolierung wegen der Gefahr erheblicher Eigenverletzungen nicht reiche. Zwangsmedikation schließlich wurde 2015 in 180 Fällen (0,7 Prozent) und 2016 in 161 Fällen angeordnet. Sie darf laut Gesetz – außer im akuten Notfall – nur nach richterlicher Anordnung und nur unter ärztlicher Leitung erfolgen und muss nachbesprochen werden, was dokumentiert werden muss.

Hinweise, was zu einer gewünschten weiteren Reduzierung von Zwang beitragen könnte, gibt eine noch nicht veröffentlichte Studie der Asklepios Klinik Nord Wandsbek in Zusammenarbeit mit dem UKE. Befragt wurden 213 Patienten, die Zwangsmaßnahmen erfahren hatten sowie 51 Patienten, die freiwillig auf geschlossener Station waren. Sie empfahlen vor allem Musik und Sport als „Mittel“ zur Zwangsreduzierung, außerdem wurde häufig der Wunsch nach Behandlungsvereinbarungen geäußert. Zwangsmedikation und Fixierungen wurden kritischer gesehen als eine Zwangseinweisung oder Isolierung.

*„Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Hilfesystem: Erfassung und Reduktion (ZIPHER)“, Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, und „Vermeidung von Zwangsmaßnahmen im psychiatrischen Hilfesystem“, Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeindepsychiatrie.      (hin)

 

                                                 Rechtslage in Hamburg

Die Rechtsgrundlagen für Zwangsmaßnahmen bei psychischen Erkrankungen sind Ländersache. Das Hamburgische Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (HmbPsychKG) schreibt zu Fixierungen in § 18 folgendes vor:

„ (1) 1 Eine untergebrachte Person darf zeitweise fixiert werden, wenn und solange die gegenwärtige Gefahr besteht, dass sie gegen Personen gewalttätig wird oder sich selbst tötet oder sich verletzt, und diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann. 2 Die fixierte Person ist an Ort und Stelle ständig in geeigneter Weise persönlich zu betreuen. 3 Dies gilt nicht, wenn auf Grund besonderer Umstände des Einzelfalles eine ständige Betreuung nicht angezeigt ist und außerdem sichergestellt ist, dass die fixierte Person auf ihr Verlangen unverzüglich von einem zur Betreuung geeigneten Mitarbeiter aufgesucht wird.
(2) 1 Eine Fixierung darf nur von einem Arzt aufgrund einer eigenen Untersuchung befristet angeordnet werden. 2 Bei Gefahr im Verzug darf eine Fixierung vorläufig auch von einer Pflegekraft angeordnet werden; die Entscheidung eines Arztes ist unverzüglich herbeizuführen. 3 Soll eine Fixierung über 12 Stunden hinaus andauern oder nach weniger als 12 Stunden erneut angeordnet werden, so ist außerdem die Zustimmung des ärztlichen Leiters der Krankenhausabteilung oder der sonstigen Einrichtung, in der die fixierte Person untergebracht ist, oder eines weiteren Arztes mit einer abgeschlossenen Weiterbildung auf psychiatrischem Gebiet erforderlich.
(3) Art, Beginn und Ende einer Fixierung, die Gründe für ihre Anordnung und die Art der ständigen Betreuung oder etwaige Gründe für das Absehen von einer ständigen Betreuung sowie die Nachbesprechung sind zu dokumentieren. Der ärztliche Leiter der Krankenhausabteilung oder sonstigen geeigneten Einrichtung, in der die Unterbringung durchgeführt wird, ist über die Anzahl und Dauer der Fixierungen fortlaufend zu informieren.
(4) Die Absätze 1 bis 3 gelten entsprechend, wenn eine untergebrachte Person durch vergleichbare Maßnahmen in ihrer Bewegungsfreiheit auf engen Raum beschränkt wird.”

siehe: http://www.landesrecht-hamburg.de/jportal/portal/page/bshaprod.psml?showdoccase=1&doc.id=jlr-PsychKGHArahmen&doc.part=X&doc.origin=bs&st=lr

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