„Teufelsmütter”

Sie berichten Unvorstellbares: Von ihren Müttern missbrauchte Töchter haben Roswita Krausz ihre Geschichten anvertraut. Foto: Pixabay

Sie heißen Dorothee, Susanne, Franziska, Klara und Judith. Sie haben Unfassbares erlebt, überlebt, und davon stundenlang ins Radiomikrofon gesprochen. In dem Beitrag für den Deutschlandfunk „Teufelsmütter – Wenn Töchterseelen zerbrechen“ von Rosvita Krausz, nachzuhören in der Mediathek des DLF, sprechen Töchter davon, dass ihre Mütter sie in ihrer Kindheit für sexuelle Zwecke verkauft haben, an Männer, an mafiöse Männerbünde, für Satanskulte. Dass sie auch selbst von der Mutter missbraucht wurden.
148 Stunden über das Böse habe sie bis heute produziert, hat Rosvita Krausz, mehrfach ausgezeichnete Radiojournalistin, zusammengerechnet. Doch dieses Feature sei ihr schwerster Beitrag gewesen, sagt sie. Ein Gespräch über Blicke in den Abgrund.

Rosvita Krausz hat in den vergangenen 30 Jahren immer wieder über rituellen Missbrauch berichtet, ist durch eine intensive Schule gegangen, wie sie sagt. Entscheidend war 1997 die Begegnung mit der Expertin für rituelle Gewalt und Traumatherapie Michaela Huber, die sie sehr geprägt hat. Warum ist sie dieses Mal so an ihre Grenzen gestoßen? „Ich bin den Frauen sehr nahe gekommen, manche habe ich mehrmals getroffen“, erklärt sie. „Ich brauchte sechs Monate, um den Beitrag fertigzustellen, weil ich mehr als halbe Tage den harten Stoff nicht ertragen konnte. Mir wurde physisch übel. Ich musste mein Büro verlassen. Ins Freie flüchten. Fühlte mich kontaminiert.“


Wie kam sie auf das Thema Frauen als Täterinnen? Es gab ja auch KZ-Wärterinnen. Bei Missbrauch sei immer von Männern die Rede, das könne ja so nicht stimmen, glaubte sie, erfuhr es über die Jahre, sammelte, recherchierte, wählte schließlich fünf Hauptpersonen aus. Es sind nicht nur Opfer: Die Redaktion bat darum, auch eine Täterin zu finden.

Mafiöse Strukturen

Wie geht sie an die Interviews heran? „Mein Geheimnis ist der Bindungsaufbau“, so Rosvita Krausz. „Professionelle Abwehr ist nicht meins.“ Die wahre Dimension des Ganzen werde ihr erst nach den ersten Gesprächen deutlich, beim stundenlangen Abtippen der Protokolle der Grausamkeiten. Manches sei so horrorhaft, dass es nicht zitier- bzw. sendbar sei. Teils in verschiedenen Stimmen – die der multiplen Persönlichkeiten. Die Frauen selbst seien sehr froh zu sprechen. Mit vielen einstigen Interviewpartnerinnen hält sie Kontakt, sei sie befreundet.

Bei ritueller Gewalt gehe es auch um mafiöse Strukturen, vor denen die Polizei weitgehend kapituliert habe, mit Netzwerken in alle Institutionen, Justiz und Medizin inklusive. Das klingt teils haarsträubend. Gibt es Beweise? „Ich habe mir Dokumente geben lassen, Briefwechsel, aber ich kann ja nicht zu Satanisten-Gruppen gehen“, so Krausz. Sie glaubt den Frauen. „Wenn Erwachsene über im Kindesalter erlebten Missbrauch berichten, stoßen sie meist auf Abwehr“, heißt es dazu im Beitrag. „Es wird dann behauptet, Therapeuten hätten Erinnerungen in sie hineinmanipuliert. Aber es gibt keine einzige wissenschaftliche Untersuchung, die diese These bestätigt. Und außerdem: Wäre es so leicht, Erinnerungen zu verfälschen, warum suggerieren Therapeuten ihren Klienten dann nicht heile Kinderwelten im Handumdrehen? Böse Erinnerungen werden nicht von Therapeuten in die Welt gesetzt, sondern stehen am Anfang der Therapie. Wegen quälender Alpträume oder plötzlicher Flashbacks suchen Menschen psychotherapeutische Hilfe.“

Was können Staat und Gesellschaft tun, um gefährdete Kinder besser zu schützen? Mehr Familienkontrolle, fordert die Autorin. Ärzte müssen genauer hingucken, wenn sie Wunden sehen. Sportlehrer genauer hinsehen. „Diese Kinder sind klapperdürr oder sehr dick, jedenfalls sehr auffällig, oft selbstverletzend.
Der aktuelle Beitrag zeugt auch vom Kampf. Vom Kampf auszusteigen, Ängste abzutragen, durchzuhalten, zu leben. Was oft nur mit dauerhafter therapeutischer Begleitung möglich ist. Partner-Beziehungen sind bei einer solchen Biographie schwer möglich. Drei der Protagonistinnen der aktuellen Sendung leben allein. Eine hat einen sehr verständnisvollen Mann, der selber mit Psychiatrie Erfahrung hat. Die andere hat einen Mann geheiratet, der auch in einem Satanskult aufwuchs.“

Rosvita Krausz stieg auch mal für Jahre aus. Nach mehreren Sendungen zu ritueller Gewalt wandte sie sich zehn Jahre anderen Themen zu. Da hatte sie es mit der Angst zu tun gekriegt, weil in einem Film Adresse und Name eines Opfers gezeigt wurden. Der schwer belastete Vater, Kopf eines Pornoringes, war ein bekannter Professor, dessen Sohn sich zur Frau umoperieren ließ, „um sich nicht mit Täteranteilen zu identifizieren“, so Krausz: „Ich hatte flatternde Angst.“ Es war die Zeit, als während des Verfahrens gegen den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux über 20 Zeugen unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen.

Mit Fragen gegen das Schweigen

Und so widmete sie sich anderen, vor allem kulturellen Themen, Literaten und Künstler-Porträts. Und landete irgendwann bei Horst Janssen. Kriegsopfer, hochgradig traumatisiert und gewalttätig … Es folgten Features über Teufelsaustreibungen, über Frauen, die Mörder lieben, Niels Högel, den Todespfleger, krankhafte Lügner, Beiträge für 37 Grad, WDR, NDR, SDR, SWR, HR und immer wieder Deutschlandfunk. Und dann doch immer wieder Multiple Persönlichkeiten, rituelle Gewalt, Trauma … Was hat das mit ihr zu tun? Warum die Arbeit am Abgrund? Im Mai 1945 sei ihre Schwester von einer Bombe zerfetzt worden. „Das Trauma saß bei uns immer mit am Tisch.“

Gesprochen wurde darüber nicht. „Da habe ich mir angewöhnt, Fragen zu stellen, um das Schweigen zu durchbrechen und um in Kontakt zu kommen.“ Ihr Vater fällt ihr noch ein, ein Internist, der bei seinen Hausbesuchen ein intensives Leben erfuhr. Das Reden war für ihn etwas Heilsames. Auch für sich selbst. Rosvita Krausz: „Man spürt das Leben sehr deutlich, wenn man in die Randbereiche kommt, die sonst hinter Boulevard-Schlagzeilen verborgen bleiben.“

Anke Hinrichs (Originalveröffentlichung EPPENDORFER 4/2019)

Prof. Jörg Fegert über Mütter als Mittäterinnen

Studien zufolge seien Frauen in etwa zehn Prozent der Fälle (von Missbrauch) involviert. Eine Repräsentativbefragung ergab einen Täterinnenanteil von sieben Prozent, so Prof. Jörg Fegert in einem Interview mit Spiegel-online zum Thema „Warum Mütter zu Mittäterinnen werden”. Sehr viel häufiger seien Frauen als sogenannte Bystanderinnen. „Sie wissen von dem Missbrauch, tun jedoch nichts dagegen. Meist ist das die leibliche Mutter des Opfers”, so Fegert. In der Forschung zu Frauen als Täterinnen fänden sich grob umrissen drei Typen: Frauen, die alleine missbrauchen, Frauen als Co-Täterinnen von Männern und deutlich ältere Frauen, die eine „Beziehung” mit einem Minderjährigen haben. Der Ärztliche Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie des Universitätsklinikums Ulm bezeichnet „die generelle Mutter-Idealisierung” als großes Problem: „Denn leider pflegen auch viele professionelle Fachkräfte im Hilfesystem dieses Stereotyp, sodass Betroffenen nicht geglaubt wird, ihre Schilderungen bagatellisiert werden.”

Buchtipp zum Thema Rituelle Gewalt

Mehr zum Thema rituelle Gewalt und Missbrauch beinhaltet diese Rezension über Therapiekonzepte zum Ausstieg aus organisierter Ritueller Gewalt“.

Weitere Sendungen von Rosvita Krausz sind demnächst im NDR sowie im DLF zu hören. Am 2. August 2020 auf NDR Info (11.05-12.00 und 15.05-16.00): „Er arbeitete umsichtig und gewissenhaft” über den Krankenhausmörder Niels Högel. Und am 21.September 2020 von 20.05-21.00 im DLF „Verklappt, verstoßen, weggegeben – über Findelkinder.”