Der rot-grüne Koaltionsvertrag für Hamburg liegt vor – und auf den rund 200 Seiten findet sich manch Positives zu Psychiatrie und Suchthilfe. Kritik kam vom Diakonischen Werk Hamburg und der AWO.
Die gestärkten Grünen haben einiges aus ihrem Wahlprogramm einflechten können. Anderes, lange gefordertes wie Prüfung einer Psychiatriekoordination und eines -beirates sowie ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis haben es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft.
Die „Initiative Akutpsychiatrie” aus Vertretern von Kliniken, der Gerichte sowie von Eingliederungshilfe-Trägern findet sich mit Forderungen zu aufsuchender Krisenversorgung sowie verbindlichen Kooperationen und koordinierenden Fallkonferenzen wieder.
Ein besonderer Fokus liegt auf besseren Hilfen für obdachlose Menschen mit psychischen Problemen. Eine neue Unterkunft für ehemals Obdachlose mit psychischen Problemen etwa dürfte auf das Konto der SPD gehen, die diese vor der Wahl versprochen hatte. Der Posten der Gesundheitssenatorin wird nach dem privat erklärten Rückzug von Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) nicht neu besetzt. Die Behörde wird aufgeteilt, die Psychiatrie fällt an die von Melanie Leonhard (SPD) angeführte Sozialbehörde. Vorteil: In der Vergangenheit vielfach beklagte blockierende Schnittstellen fallen weg.
Aufsuchende Akutversorgung in Krisen
Natürlich soll die Versorgung besser werden. Dazu beitragen könnte insbesondere die aufsuchende Akutversorgung durch sogenannte Crisis Resolution Teams an allen Standorten der Klinken, womit eine Art stationsäquivalenter Behandlung gemeint ist, an anderer Stelle definiert als „fachärztlich geleitetes, multiprofessionelles Team mit der Aufgabe einer zeitlich begrenzten Akutbehandlung im häuslichen Umfeld für Klienten in akuten Krankheitsphasen“. Aufgabe dieser Teams: eine intensive Krisenintervention über einen kurzen Zeitraum und Sicherung der Weiterbehandlung.
Der Sprachmittler*innenpool hat es mit dem Versprechen einer Verstetigung in den Vertrag geschafft. Ebenso wie das Krisentelefon, das eigentlich längst installiert sein sollte – aber weiter rein telefonisch, ohne in Notfällen ausrückendes Team arbeiten soll. Ob das reicht, soll eine Evaluation klären, die aber erst in drei Jahren vorgesehen ist. Dafür hat es eine kostenfreie App für erste Hilfe in der akuten Krise ins Programm geschafft. Ebenfalls nicht neu ist das Versprechen, den Mangel an hochstrukturierten, geschlossenen Unterbringungsmöglichkeiten für schwerst psychisch Kranke zu beheben, und zwar dezentral. Auch verbindliche Kooperation aller Akteure wird festgeschrieben. Ebenso individuelle koordinierende Fallkonferenzen. Zwangsmaßnahmen sollen durch mehr ambulante und aufsuchende Angebote so weit wie möglich vermieden werden – und wenn doch nötig mit den Betroffenen und auch mit den Angehörigen grundsätzlich hinterher besprochen werden. Die Bettenzahl in der forensischen Klinik soll erneut erhöht werden.
In den Einrichtungen der Wohnungs- und Obdachlosenhilfe sollen regelmäßig psychiatrische Sprechstunden stattfinden. „Diese werden wir stärker mit den zuständigen Sektorkliniken vernetzen“, so das Versprechen, damit psychisch kranke Obdachlose nach stationären Aufenthalten in einer Klinik verlässlich in geeignete Wohneinrichtungen oder Unterkünfte vermittelt werden können. Darüber hinaus soll eine öffentlich-rechtliche Unterkunft speziell auf die Bedürfnisse ehemals Obdachloser mit psychischen Erkrankungen ausgerichtet werden.
„Tarifsteigerungen werden refinanziert”
Dem Suchtbereich wird „auskömmliche“ Finanzierung versprochen, Tarifsteigerungen werden refinanziert, heißt es. Damit wird einer nachdrücklichen Forderung der Träger nachgekommen. In Harburg wird nicht nur die Suchthilfeeinrichtung Abrigado neu und größer gebaut, sondern auch „eine konsumtolerante Notschlafstelle“ eingerichtet. Die in der Coronakrise neu eingerichtete niedrigschwellige Substitutionsambulanz am Drob Inn soll dauerhaft gesichert werden. Neu ist der Schwenk, junge Konsumenten illegaler Drogen innerhalb von höchstens 72 Stunden in die Suchtberatung zu vermitteln statt sie zu bestrafen. Schließlich wird die Prüfung eines Drug-checking-Modells angekündigt.
Diakonie vermisst „Soziales”
Das Diakonische Werk Hamburg hat enttäuscht auf den rot-grünen Koalitionsvertrag reagiert. Das Thema Soziales komme kaum vor, kritisierte Landespastor Dirk Ahrens am Donnerstag. Die Bereiche Krankenhäuser und Pflege würden im Koalitionsvertrag nur am Rande vorkommen. Dass es zum Fachkräftemangel keine klaren Ziele gibt, sei „ausgesprochen irritierend”. Problematisch sei auch, dass die Themen Senioren und Pflege durch die neuen Behördenzuschnitte getrennt werden.
Auch die AWO Hamburg kritisierte die Abspaltung des Bereichs Senioren und der Zuständigkeit für den Landesseniorenbeirat von der neu geschaffenen Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration in die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung BWFG. Ein tragfähiges Demographiekonzept für die Stadt Hamburg könne nur im Zusammenspiel der Interessen von Kindern, Jugendlichen, Migrantinnen und Migranten – aber auch Senior*innen – entwickelt werden. (rd)
(Einen weiteren Bericht dazu lesen Sie in der nächsten Printausgabe, die im Juli erscheint)