Studie zu Corona
und Gewalt

In 6,5 Prozent der befragten Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. Symbolfoto: pixabay

Rund drei Prozent der Frauen in Deutschland gaben an, in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt geworden zu sein, 3,6 Prozent sagten, sie seien von ihrem Partner vergewaltigt worden. In 6,5 Prozent der für eine Studie befragten Haushalte wurden den Angaben zufolge Kinder gewalttätig bestraft. Dies zeigt die erste große repräsentative Umfrage zu häuslicher Gewalt während der Corona-Pandemie, ein Projekt der TUM und des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Waren die Frauen in Quarantäne oder hatten die Familien finanzielle Sorgen, lagen die Zahlen deutlich höher. Nur ein sehr kleiner Teil der betroffenen Frauen nutzte Hilfsangebote.

Unklar bleibt, inwieweit die Zahlen gegenüber „normalen Zeiten” angestiegen sind. Ein Vergleich dieser Zahlen mit Daten aus der Zeit vor der Pandemie wäre nicht aussagekräftig, da bisherige Studien nach Gewalterfahrungen innerhalb längerer Zeiträume gefragt haben, nicht aber nach einem Zeitraum weniger Wochen, so die Technische Universität München in ihrer Pressemitteilung.

Janina Steinert, Professorin für Global Health an der Technischen Universität München (TUM), und Dr. Cara Ebert vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung haben rund 3.800 Frauen zwischen 18 und 65 Jahren online nach ihren Erfahrungen befragt. Die Studie ist hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort repräsentativ für Deutschland. Die Frauen wurden zwischen 22. April und 8. Mai 2020 nach dem vorangegangenen Monat gefragt, also der Zeit der strengsten Kontaktbeschränkungen.  

Ergebnisse in Stichworten:

● Körperliche Gewalt: 3,1 Prozent der Frauen erlebten zu Hause mindestens eine körperliche Auseinandersetzung, zum Beispiel Schläge. In 6,5 Prozent der Haushalte wurden Kinder körperlich bestraft.

● Sexuelle Gewalt: 3,6 Prozent der Frauen wurden von ihrem Partner zum Geschlechtsverkehr gezwungen.

● Emotionale Gewalt: 3,8 Prozent der Frauen fühlten sich von ihrem Partner bedroht. 2,2 Prozent duften ihr Haus nicht ohne seine Erlaubnis verlassen. In 4,6 Prozent der Fälle regulierte der Partner Kontakte der Frauen mit anderen Personen, auch digitale Kontakte, zum Beispiel über Messenger-Dienste.

Risikofaktor Finanzsorgen

Höher war die Zahl der Opfer sowohl bei Frauen als auch Kindern, wenn

● sich die Befragten zu Hause in Quarantäne befanden (körperliche Gewalt gegen Frauen: 7,5 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 10,5 %).

● die Familie akute finanzielle Sorgen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 8,4 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,8 %).

● einer der Partner aufgrund der Pandemie in Kurzarbeit war oder den Arbeitsplatz verloren hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 5,6%, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,3 %).

● einer der Partner Angst oder Depressionen hatte (körperliche Gewalt gegen Frauen: 9,7 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 14,3 %).

● sie in Haushalten mit Kindern unter 10 Jahren lebten (körperliche Gewalt gegen Frauen: 6,3 %, körperliche Gewalt gegen Kinder: 9,2 %).

Aus diesen Risikofaktoren leiten die Wissenschaftlerinnen mehrere Empfehlungen für bestehende und eventuelle künftige Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen während einer möglichen „zweiten Welle“ der Pandemie ab: „Es sollten Notbetreuungen für Kinder geschaffen werden, die nicht nur Eltern in systemrelevanten Berufen zur Verfügung stehen“, sagt Janina Steinert. „Da Depressionen und Angstzustände das Gewaltpotential erhöhen, sollten psychologische Beratungen und Therapien auch online angeboten und ohne Hürden genutzt werden können. Frauenhäuser und andere Stellen, die Hilfen anbieten, müssen systemrelevant bleiben.“

„Hilfe auch online anbieten“

Die Wissenschaftlerinnen fragten zudem, ob die betroffenen Frauen Hilfsangebote kennen und genutzt haben:

● 48,2 Prozent der Opfer kannten die Telefonseelsorge, 3,9 Prozent hatten dort angerufen.

● 32,4 Prozent kannten das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, 2,7 Prozent hatten sich dorthin gewandt.

● 44,3 Prozent kannten das Elterntelefon, 21,5 Prozent hatten dort Hilfe gesucht.

● 5,5 Prozent kannten die Aktion „Codewort Maske 19“, bei der Apotheken die Behörden verständigen, wenn eine Kundin dieses Codewort sagt. 1,8 Prozent hatten diese Möglichkeit genutzt.

„Wenn Frauen durch ihre Partner intensiv kontrolliert werden, können sie telefonische Beratungsangebote nur schwer nutzen. Hilfe sollte deshalb auch online angeboten werden, per Chat, Messenger und E-Mail“, empfiehlt Cara Ebert. „Die bestehenden Hilfsangebote müssen zudem besser in der Öffentlichkeit beworben werden, zum Beispiel durch große Plakate in Supermärkten und Apotheken sowie durch Onlineanzeigen.“

(rd/ Quelle: Technische Universität München)

Übersicht der Studienergebnisse unter: https://www.gov.tum.de/globalhealth/forschung/covid-19-and-domestic-violence/