„Wahnsinn aus Heimweh”

Die unterschiedlichsten Gründe bewogen die Menschen zum Auswandern. (Foto: Denkmalschutzamt Hamburg Bildarchiv)

„Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure geknechteten Massen” – so lautet seit 1886 der Ruf der amerikanischen Freiheitsstatue in die Welt. Als ihm zwischen 1900 und 1914 Hunderttausende folgen, kommen nicht alle an ihr vorbei – die Immigrationsbehörde schickt einige mit der Begründung „geisteskrank” zurück nach Hamburg. Das ist das Thema der „theatralen Dokufiktion”: „Wahnsinn aus Heimweh 1910: Amerika-Rückwanderer in der Anstalt Friedrichsberg”, die am Freitag, 30. November im 
Medizinhistorisches Museum, Martinistraße 52, in Hamburg Premiere feiert. 

Die Beamten der Immigrationsbehörde verhinderten an der US-amerikanischen Grenze die Einreise hunderter Glückssuchender oder weisen sie nachträglich aus; einige von ihnen mit der Begründung, „geisteskrank” zu sein. Laut damaligem Einwanderungsgesetz dürfen u.a. „idiots, imbeciles, feeble-minded persons, epileptics, und „people with two or more attacks of insanity“ die USA nicht betreten – egal ob ihnen zu Recht oder Unrecht eine geistige Krankheit unterstellt wird.

Die Schifffahrtsgesellschaften bringen diese Abgewiesenen zurück in ihre Heimatländer – und der Weg führt sie zunächst nach Hamburg, in die – damals noch sogenannte – Irrenanstalt Friedrichsberg.

Aus verschiedensten Gründen landen sie hier: Ignatz, der die Armut Galiziens hinter sich lassen wollte. Katharina, die mit ihrem unehelichen Kind in der moralischen Enge des Kaiserreichs keinen Platz fand. Sure, die vor antisemitischen Pogromen aus Russland geflohen war. Karl, der aus hoffnungsloser Liebe zu einem amerikanischen Fräulein beinahe Selbstmord beging. Die Schicksale der „geisteskranken Rückwanderer“ – wie sie in den Akten genannt werden – sind vielfältig und wurden durch die Friedrichsberger Ärzte in den Krankenakten festgehalten. Diese lagern noch heute im Archiv des Universitätsklinikums Hamburg.

Basierend auf den Dokumenten hat sich ein Team von Theaterschaffenden an eine dokufiktionale und vielstimmige Inszenierung im Medizinhistorischen Museum Hamburg gemacht. Kunst, Geschichte und Wissenschaft gehen Hand in Hand, um in diesem Konvolut aus Migrations-, Psychiatrie- und Stadtgeschichte von Schicksalen besonderer Dimension zu erzählen – von denen, für die Hamburg kein Tor zur Welt war, sondern ein Warteraum auf dem Weg zurück in eine Heimat, die sie nicht mehr wollte.

Gefördert durch den Elbkulturfonds und den dreijährigen Projektetat des monsun.theater – unterstützt durch die Claussen-Simon-Stiftung. In Kooperation mit dem Medizinhistorischen Museum Hamburg und dem monsun.theater. Supported by Probebühne im Gängeviertel. (Quelle: Medizinhistorisches Museum)

Weitere Vorstellungen: 1., 2., 7., 8. und 9. 12., jeweils 20 Uhr. Tickets und Infos:   http://www.wahnsinnausheimweh.de

Einen ausführlichen Bericht zum Thema sowie über Forschungen dazu am UKE lesen Sie hier: http://eppendorfer.de/von-der-veddel-in-die-neue-welt/