Viele Pillen – viel
zu wenig Psychotherapie

Die Menge der jährlich in Deutschland verordneten Antidepressiva würde ausreichen, um 3,8 Millionen Menschen das ganze Jahr über mit Tabletten zu versorgen. Das sind sieben Mal so viele wie noch vor 25 Jahren. Gleichzeitig würden nur bei jedem fünften bis sechsten Versicherten, der Antidepressiva verordnet bekommt, auch psychotherapeutische Verfahren abgerechnet, so Professor Dr. rer. nat. Gerd Glaeske, Leiter der Abteilung für Gesundheit, Pflege und Alterssicherung am Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik der Universität Bremen.

Er verweist auf entsprechende Daten der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese starke Dominanz der Medikamente entspreche nicht der aktuellen Leitlinie zur Behandlung von Depressionen, so Experten der Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). Diese sieht bei leichten Formen der Depression eine zurückhaltende Pharmakotherapie vor und räumt auch psychotherapeutischen Verfahren einen festen Platz in der Depressionsbehandlung ein.

Je nach Schweregrad der Depressionen sieht die Leitlinie unterschiedliche Behandlungsstrategien vor. „Für leichte Depressionen ist eine Behandlung mit Antidepressiva grundsätzlich nicht mehr vorgesehen“, erläutert Professor Glaeske. Selbst bei mittelschweren Depressionen seien die Medikamente nicht mehr automatisch das Mittel der Wahl, hier gelte es, gemeinsam mit dem Patienten abzuwägen, ob eine Pharmakotherapie notwendig und sinnvoll ist. Eine psychotherapeutische Behandlung ist dagegen gerade bei leichten und mittelschweren Depressionen angeraten, auch bei schweren Formen kann sie in Kombination mit Antidepressiva angeboten werden.

Die Realität sehe aber oft anders aus. Auffallend sei zudem, dass viele Patienten mit einer Depressionsdiagnose gar nicht behandelt würden; umgekehrt erhielten aber auch Menschen Antidepressiva, bei denen keine entsprechende Diagnose vorliege. 

 

(Quelle: Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM))

Weitere Berichte zu Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten lesen Sie in der nächsten EPPENDORFER-Druckausgabe, die am 5. November erscheint.