Rund 250.000 Männer in Deutschland sind pädophil, so die Weltgesundheitsorganisation. Sie stuft Pädophilie als Störung der Sexualpräferenz ein. Andere Stimmen sprechen von einer sexuellen Neigung. Auf jeden Fall ist es ein Thema, das extrem emotional ist. Und es ist ein Tabu, bei dem schnelle Antworten Konjunktur haben. „Rabiat”-Autor Manuel Möglich stellt die Frage, wie kann, soll, muss die Gesellschaft mit Pädophilen umgehen, und macht sich am 11. Juni, 22.45 Uhr, in der Reportage „Unter Pädophilen“ auf eine herausfordernde Reise, um herauszufinden, wie Pädophile denken, fühlen. „Rabiat” ist „ein neues multimediales Reportageformat mit rabiaten Geschichten aus dem Blickwinkel junger Autoren. Die sechsteilige Reihe will Emotionen auslösen, Haltung zeigen und zum Nachdenken anregen”, heißt es auf der Ard-Homepage.
In der Reportage „Unter Pädophilen” lernen die Zuschauerinnen und Zuschauer den 60-jährigen Georg kennen. Er bekennt sich zu seiner Pädophilie, will sich nicht länger verstecken, denn er will etwas gegen die Stigmatisierung von Pädophilen unternehmen, dem Diskurs ein Gesicht geben und aufklären. Nicht jeder Pädophile wird zwangsläufig zum „Kinderschänder“, so Georg.Dabei waren seine Handlungen nicht immer frei von Schuld: Vor etlichen Jahren wurde Georg wegen des Besitzes von Kinderpornographie zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung und zu einer Geldstrafe verurteilt. Es war ein Urteil, das heftig wehtat, sagt Georg. Doch in Anbetracht der Bilder, die er auf seinem Rechner hatte, sei seine Strafe zu milde gewesen. Er weiß heute: Er war Täter. Er weiß heute: Der Konsum von Missbrauchsabbildungen ist Missbrauch. Und er weiß auch: Er ist kein Opfer, Georg sucht nicht nach Mitleid.
Pädophile sind per se keine Kindesmissbraucher – zu dem Ergebnis kommt die Psychologin Dr. Janina Neutze von der Abteilung für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Regensburg. Sie leitet die MIKADO-Studie (Missbrauch von Kindern: Aetiologie, Dunkelfeld, Opfer) und weiß, dass zwar in der Wahrnehmung der meisten Menschen die Begriffe Pädophilie und Kindesmissbrauch unmittelbar verknüpft sind, doch faktisch betrachtet handelt es sich um zwei unterschiedliche Phänomene. „In den MIKADO-Studien haben wir bestätigen können, dass ungefähr die Hälfte derer, die Kindesmissbrauch begehen, keine Fantasien mit Kindern haben. Umgekehrt haben viele von denen, die Fantasien haben, noch lange keinen Kindesmissbrauch begangen.“ Nicht die Neigung, sondern das Verhalten kann verurteilt werden. Dennoch: Männer, die ausschließlich Fantasien mit Kindern haben, sind deutlich risikobehafteter, ihre Fantasien tatsächlich umzusetzen.
An der Berliner Charité kann beim Präventionsprojekt „Kein Täter werden“ niemand verbindlich Antwort geben, ob Pädophilie angeboren, vererbbar ist oder ob sie aus Erfahrungen in der Kindheit der Betroffenen herrührt. Seit der Gründung des Präventionsprojektes im Jahr 2005 haben sich ca. 9.500 Menschen aus dem Bundesgebiet an das Netzwerk gewandt; 3.000 Menschen haben diagnostische Gespräche geführt und sich auf Pädophilie untersuchen lassen. Auch Max, für den das Charité-Angebot für Jugendliche „Du träumst von ihnen” eine essenzielle Hilfe darstellt, um den Alltag zu ordnen, hätte ohne Therapie vermutlich nur schwer Klarheit über seine Sexualität und Lebensrealität bekommen. Die Diagnose Pädophil wird jungen Menschen frühestens im Alter von 16 Jahren erteilt. Die Behörden wurden auf den damals 13-Jährigen aufmerksam, weil er sich Missbrauchsabbildungen im Internet heruntergeladen hatte. Max und sein Vater, der als erstes verdächtigt wurde, erzählen, was es mit einer Familie macht, wenn sich ein Teenager von deutlich jüngeren Kindern sexuell erregt fühlt. „So wie die Präferenz nicht heilbar ist“, sagt Max „ist auch das Risiko nicht völlig ausschließbar. Das weiß ich, aber ich gebe mir Mühe, dass es dazu nicht kommt.“
Chris, Anfang 30, ist sich seiner pädophilen Neigung bewusst, steht Therapieangeboten allerdings kritisch gegenüber. Er wisse sich so zu verhalten, wie es die Gesellschaft verlange: „Wer sich nicht benehmen kann und nicht vernünftig im Kopf ist, der wird – auch wenn er heterosexuell ist – Mist bauen und Menschen Schaden zufügen. Ich bin kein Arschloch!“ Ein Sex-Angebot mit einem Kind in Deutschland, das ihm einst unterbreitet wurde, lehnte er vehement ab. Seine Fantasie muss ihm genügen, er sei sich dessen auch ohne eine einzige Therapiestunde äußerst bewusst, er lebe mit sich und seiner Neigung im Reinen.
„Unter Pädophilen“ ist eine 45-minütige Begegnung mit Pädophilen und Experten. Kann man so ein Thema differenzieren, mehr Nuancen als weiß und schwarz ausmachen? Ob nun Störung oder Neigung, keiner der drei betroffenen Protagonisten in der Reportage hat sich bewusst dafür entschieden, pädophil zu werden. Die letzte Folge der ersten “Rabiat”-Staffel ist eine Reportage, in der das eigene Unvermögen des Autors Manuel Möglich im Umgang mit diesem Thema spürbar ist. Die Frage, die am Ende offen bleibt: Wie soll eine Gesellschaft mit Pädophilen umgehen?