Schläge, Zwang, Missbrauch”

Prof. Cornelius Borck forscht zur Situation in der Psychiatrie und in Einrichtungen für Behinderte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Foto: Hans-Jürgen Wege

Über den schleswig-holsteinischen Jugendpsychiatrien der Nachkriegszeit hängt ein dunkler Schatten. Die wissenschaftliche Aufarbeitung zeichne „ein erschreckendes Bild von Vernachlässigung und Misshandlungen, die Kinder und Jugendliche in schleswig-holsteinischen Institutionen erfahren mussten: Die Mehrheit der Betroffenen berichtete in einem schockierenden Ausmaß von Schlägen,  Zwang, Missbrauch, medikamentöser Ruhigstellung und Ausbeutung, unter deren Folgewirkungen sie bis heute zu leiden haben.“ So lautet das düstere Fazit des Leiters des Instituts für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität zu Lübeck, Prof. Cornelius Borck, nach der Untersuchung von Leid und Unrecht in den schleswig-holsteinischen Kinder- und Jugendpychiatrien zwischen 1949 und 1990.

Prof. Cornelius Borck weiter: „In allen von uns untersuchten Einrichtungen kam es regelmäßig zu Gewalt, obwohl die Misshandlung von Schutzbefohlenen bereits damals dienstrechtlich verboten war. Unsere Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit eines wirksamen Schutzes von minderjährigen Patient:innen und Bewohner:innen.“ Die Studie habe ferner zeigen können, dass die Reformbemühungen in Psychiatrie und Behindertenhilfe auf Bundesebene nach der „Psychiatrie-Enquête“ der 1970er Jahre in Schleswig-Holstein „nur verhalten und verzögert Niederschlag fanden. Die gravierenden Missstände in der psychiatrischen und heilpädagogischen Unterbringungspraxis blieben bis zum Ende des Untersuchungszeitraums 1990 weitgehend bestehen.“

Diskussion über Medikamentenversuche brachte zwei Studien auf den Weg

Vor dem Hintergrund einer breiten öffentlichen Diskussion über Medikamentenversuche im ehemaligen Landeskrankenhaus Schleswig hatte das Sozialministerium Schleswig-Holstein zwei Studien in Auftrag gegeben. Die erste Studie behandelte die Medikamentenversuche in der schleswig-holsteinischen Psychiatrie in den Jahren 1949-1975, die zweite Studie – deren Abschlussbericht jetzt veröffentlicht wurde – untersuchte die Erfahrungen von Leid, Unrecht, Gewalt und Misshandlungen von Kindern und Jugendlichen in psychiatrischen Einrichtungen beziehungsweise Einrichtungen der Behindertenhilfe im Zeitraum von 1949 bis 1990.

Für den Abschlussbericht hat das Team der Universität zu Lübeck um Prof. Cornelius Borck mit Prof.in Gabriele Lingelbach, Historisches Seminar, und Prof. Sebastian von Kielmansegg, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Medizinrecht von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel zusammengearbeitet. Es wurden Interviews mit Betroffenen, Angehörigen und ehemaligen Mitarbeitenden geführt und darüber hinaus Aktenüberlieferungen und Medienberichte ausgewertet. Im Fokus standen dabei die kinder- und jugendpsychiatrische Abteilung Schleswig-Hesterberg, die Schleswiger Schule für Minderjährige mit Hörbeeinträchtigungen sowie ein Heim für Kinder mit geistigen Behinderungen in Wyk auf Föhr. (rd)