Unter dem Titel “Alarmstufe rot: Krankenhäuser in Not” haben am Dienstag bundesweit Interessenvertreter auf die dramatische Lage im Gesundheitssystem hingewiesen. Auch in Niedersachsen und Bremen droht demnach vielen Häusern der finanzielle Kollaps.
„Der Patient Krankenhaus ist kritisch krank“ – mit diesen drastischen Worten hat am Dienstag in Hannover der Unfallchirurg Andreas Hammerschmidt auf die verheerende wirtschaftliche Situation der Kliniken in Niedersachsen hingewiesen. Der zweite Vorsitzende des Landesverbandes des Marburger Bundes betonte, er sehe täglich kritisch kranke Patienten, daher sei er sicher, dass seine Diagnose zutreffe. Er beklagte gemeinsam mit Vertretern der „Niedersächsischen Allianz für die Krankenhäuser“ extreme Preissteigerungen in vielen Bereichen und die fehlende Refinanzierung inflationsbedingter Personal- und Sachkostensteigerungen.
Der Vorsitzende der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft, Hans-Heinrich Aldag, warnte, ohne sofortige Hilfen könnte die vom Bund für 2024 angekündigte Krankenhausreform für viele Häuser zu spät kommen. Nötig sei ein zügig auf den Weg gebrachtes Vorschaltgesetz, also eine vorläufige Regelung des Bundes zur finanziellen Stabilisierung. „Ansonsten droht ein eiskalter Strukturwandel in unserem Flächenland – kein kalter – ein eiskalter.“
90 Prozent der Kliniken in Niedersachsen rechnen mit roten Zahlen
Aktuell rechneten rund 90 Prozent aller Kliniken in Niedersachsen mit roten Zahlen zum Jahresabschluss. Das Defizit der Häuser steigt laut Krankenhausgesellschaft jeden Tag um 1,46 Millionen Euro. Für das gesamte Jahr 2023 sei damit ein Defizit von mehr als 500 Millionen Euro zu erwarten. „Die Uhr läuft gnadenlos gegen die Krankenhäuser“, betonte Aldag. „Ihr Finanzierungssystem sollte zumindest eine schwarze Null ermöglichen, das ist aber aktuell überhaupt nicht absehbar.“ Er monierte auch einen Investitionsstau von rund drei Milliarden Euro.
Der Vorstandssprecher der Diakonie in Niedersachsen, Hans-Joachim Lenke, warnte vor katastrophalen Auswirkungen für das Flächenland, wenn „benötigte Häuser unkontrolliert schließen und Lücken in das Versorgungsnetz reißen“ würden. Nicht nur finanziell auch personell sei das System ausgelaugt. Arbeitskräfte fehlten in allen Bereichen von Ärzten über Pflegekräfte bis hin zu Reinigungspersonal.
„Ein unstrukturiertes Kliniksterben ist der schlechteste Weg”
Die Vorsitzende des Niedersächsischen Pflegerates, Vera Lux, sagte, es sei klar, dass es bei einer Neuregelung der Gesundheitsversorgung zu Einschnitten kommen müsse. „Aber ein unstrukturiertes Kliniksterben ist dafür der schlechteste Weg.“ Sie forderte für die Häuser einen wirksamen Inflationsausgleich und den dauerhaften und vollständigen Ausgleich von gestiegenen Personalkosten.
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Dienstag), vor allem im ländlichen Raum müssten die stationäre Grund- und auch die Schwerpunktversorgung gestärkt werden. Die Länder müssten Milliarden investieren, um in strukturarmen Gebieten aus zwei maroden alten Häusern ein modernes Klinikum zu errichten. Patienten seien nicht grundsätzlich gegen Schließungen, betonte Brysch. Die Menschen wollten aber wissen, was sie in Zukunft bekommen.
Unterdessen warnte auch die Bremer Krankenhausgesellschaft im Rahmen des bundesweiten Aktionstages „Alarmstufe rot: Krankenhäuser in Not“ vor einem finanziellen Kollaps der Kliniken im Land Bremen. Prognosen der Krankenhausgesellschaft zufolge würden die Kosten der Kliniken bis 2024 im Vergleich zu 2019 um 30 Prozent steigen, während die Erlöse im gleichen Zeitraum um lediglich 17 Prozent zunähmen. Das bedeute, dass allein in Bremen und Bremerhaven bis Ende dieses Jahres ein inflationsbedingtes Finanzierungsdefizit von rund 110 Millionen Euro auflaufen werde.
Björn Schlüter (epd)