NS-Medizin: Menschen erzählen

Filmarbeiten mit dem Zeitzeugen Walter Daps am 11.4.2024, Fotografin: Yule von Hertel. Archiv der „Euthanasie“-Gedenkstätte Lüneburg.

Die „Euthanasie”-Gedenkstätte Lüneburg lässt im Rahmen der diesjährigen Gedenkfeier für die Opfer der „Eugenik” und der NS-„Euthanasie” Menschen erzählen: Am Sonntag, 25. August, ab 14 Uhr sind Interessierte eingeladen, im Bildungszentrum im Alten Gärtnerhaus (Haus 43) auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Lüneburg erstmals zuzuhören, was Betroffene über die Verfolgung und Gewalt an Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen in der NS-Zeit erzählen. Es werden einmalig 20 Interviews mit Angehörigen von Opfern und Tätern der NS-Medizin sowie von Zeitzeugen der Nachkriegspsychiatrie in voller Länge als ungeschnittene Rohfassungen sowie als 15-Minuten-Zusammenschnitt gezeigt, aus denen zentrale Passagen in die zukünftige neue Dauerausstellung einfließen werden.
 
„Oral History”, also mündlich überlieferte Geschichte als Zeitzeugenschaft, spielte bis vor kurzem in der Aufarbeitung von Zwangssterilisation und Krankenmord keine Rolle. Die Hinterbliebenen wurden in die Aufarbeitung der Verbrechen nicht einbezogen. „Sie wurden bei Ermittlungsverfahren nicht befragt, sie wurden bei Gericht nicht als Zeugen geladen und in der Forschung wurden sie als Zeitzeugen nicht ernstgenommen. Niemand interessierte sich jahrzehntelang für das, was diese Menschen zu erzählen hatten”, sagt Dr. Carola Rudnick, Leiterin der Gedenkstätte.
 

Es werden einmalig 20 Interviews in voller Länge gezeigt


Seit über zehn Jahren geht die Lüneburger Gedenkstätte einen anderen Weg und holt dieses Versäumnis nach. Sie sucht die Angehörigen, lädt sie ein, Angehörige kommen und berichten. Sie erzählen, erfahren bittere Wahrheit, die Gedenkstätte zeichnet ihre Worte auf, als Tondokumente (über 50) und inzwischen auch als Videos (über 30). Die Familien vertrauen der Gedenkstätte ihre persönlich erzählten Erinnerungen und Familiengeschichten an, damit sie in ihren eigenen Worten dauerhaft bewahrt werden können. Sie sprechen in die Kamera – ihre Zweifel, ihre Wut, ihre Erleichterung, ihre Sorge, ihre Wünsche und Erwartungen. Sie sind indirekte Zeugen der Verbrechen, sie sind Paten der Vergangenheit, vor allem aber: Sie sind Menschen, die zum ersten Mal erzählen.
 
47 Schülerinnen und Schüler der beiden Lüneburger Pflegeschulen sichteten das umfangreiche Filmmaterial und unterstützten die Erfassung dieser filmischen Erzählungen, identifizierten die wichtigsten Passagen und arbeiteten Zitate heraus, die in die zukünftige Dauerausstellung aufgenommen werden.
 
Die Gedenkfeier endet um 16 Uhr an der Gedenkanlage für die Opfer der NS-Psychiatrie auf dem Lüneburger Friedhof Nord-West mit dem Totengedenken.
 
Die Video-Interviews entstanden im Rahmen des Projektes »Und plötzlich war der Schatten weg«, gefördert von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, der VGH-Stiftung und der Lüneburger Sparkassenstiftung. Die »Euthanasie«-Gedenkstätte Lüneburg wird bis zum August 2025 im ehemaligen Badehaus und im Wasserturm der Psychiatrischen Klinik Lüneburg für insgesamt rund 1,5 Millionen Euro neu eingerichtet, es entsteht ein Dokumentationszentrum mit einer neuen Dauerausstellung. Im Zentrum steht der Mord an Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen sowie an psychisch Erkrankten mit ausländischer Herkunft. (rd/ PM Gesundheitsholding Lüneburg GmbH)