Bremen: Kunst
auf Rezept

Kunst tut der Psyche gut, das wurde in Studien nachgewiesen. In Bremen können sich Patienten jetzt VHS-Kunstkurse „verschreiben“ lassen. Foto: pixabay

Kultur statt Krise: Bremer Projekt fördert „Überweisungen” aus medizinischer Behandlung in Kunstkurse: Mit dem Pilotprojekt „Arts on Prescription“ wird in sieben europäischen Staaten die Verknüpfung kultureller und medizinischer Einrichtungen erprobt. Der deutsche Ableger ist gerade in Bremen gestartet und legt seinen besonderen Fokus auf Inklusion.


Ob Malen, Singen oder Dichten: Dass künstlerische Betätigung der Psyche gut tut und auch in akuten Stresssituationen oder depressiven Phasen heilsam wirken kann, ist weit mehr als nur ein Klischee. Vor allem im Präventionsbereich ist die Wirksamkeit der Kunst in unzähligen Studien beforscht und belegt worden – so eindeutig, dass die World Health Organization (WHO) ihren Mitgliedsstaaten 2019 empfahl, im Sinne der Gesundheit daran zu arbeiten, ihre kulturellen und medizinischen Institutionen enger zu vernetzen und auf lokaler Ebene bereits vorhandene Synergien großflächig nutzbar zu machen. Inzwischen angelaufen ist das internationale Projekt „Arts on Prescription in the Baltic Sea Region“, mit Partnerinnen aus sieben europäischen Staaten und einem Budget von 3,5 Millionen Euro. Aus Deutschland nimmt Bremen teil, wo die „Kunst auf Rezept“ als gemeinsames Unternehmen von Volkshochschule (VHS) und der Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz soeben gestartet ist.

Idee: „Überweisung” in bereits vorhandene Kunstkurse der VHS


Die Idee ist, die bereits vorhandenen Kunstkurse der VHS für Menschen zu öffnen, die aus medizinischer Behandlung hierher „überwiesen“ wurden. Laut den Projektleiterinnen Hannah Goebel und Imke Seifert geben bislang 31 Stellen die grünen Rezepte aus, darunter Kliniken wie das AMEOS-Klinikum Bremen, dessen Ärztlicher Direktor Prof. Uwe Gonther auch in den Beirat berufen wurde, Hausarztpraxen und PsychotherapeutInnen. 19 Teilnehmende haben es bereits ins laufende Kursprogramm geschafft, die nächsten stehen schon auf der Warteliste. „Wir sind mit der Resonanz sehr zufrieden“, sagt Seifert.

Unter den für „Kunst auf Rezept“ geöffneten VHS-Kursen findet sich die volle Bandbreite künstlerischer Betätigungsfelder. Dass sich diese Liste allerdings weder online findet, noch hier im Detail wiedergegeben wird, hat einen guten Grund. Eine Besonderheit des Bremer Projektteils sei nämlich sein inklusiver Ansatz, erklärt Projektleiterin Goebel: „Es gibt keine Kurse, die ausschließlich von unseren TeilnehmerInnen belegt werden.“ Stattdessen würden die Interessierten im ohnehin laufenden Programm untergebracht und dort weder gesondert behandelt, noch als Teilnehmende mit Rezept geoutet. Es ist auch keine Teilnahmevoraussetzung, eine Krankheitsdiagnose vorweisen zu können.

In einer Begleitrunde werden Erfahrungen ausgetauscht


In der Praxis funktioniert das so: Wer aufgrund psychischer Belastung ein Rezept erhält, kommt zum Vorgespräch in die VHS. Gemeinsam wird dann entlang der eigenen Interessen nach einem passenden Kurs gesucht. Erst in einer Begleitrunde kommen diese besonderen TeilnehmerInnen der verschiedenen Kurse wieder zusammen, um sich über ihre Erfahrungen auszutauschen. Auch wenn die teils seit Jahren an der VHS aktiven SeminarleiterInnen auf das Projekt vorbereitet wurden, geht es also nicht um Kunst-
therapie, sondern darum, die grundsätzliche heilsame Wirkung von Kunst und Kultur auszuloten, insbesondere zur Prävention in der seit der Corona-Pandemie insgesamt hoch belasteten Gesellschaft. In späteren Projektphasen werden auch andere Kulturinstitutionen wie etwa Museen dazustoßen und prüfen, wo sich bestehende Program-
me für „Kunst auf Rezept“ öffnen lassen – und ob gegebenenfalls neue initiiert werden können.

Ausdrücklich angesprochen sind Menschen, denen es finanziell nur eingeschränkt möglich ist, kulturelle Angebote wahrzunehmen. Die entscheidende Frage dürfte sein, wer langfristig die Kosten solcher Präventions- und Teilhabeprogramme trägt. Bisher wird „Kunst auf Rezept“ aus Projektmitteln und Kofinanzierung bestritten. In Bremen erhebt die VHS keine Kursgebühren für die Teilnehmenden. Es geht zunächst darum, die lokalen und internationalen AkteurInnen aus Kultur und Gesundheit miteinander ins Gespräch zu bringen und den beidseitigen Nutzen zu beleuchten. Langfristige Finanzierungskonzepte für dieses oder ähnliche Projekte stehen erst später auf der Tagesordnung. Hilfreich dürfte dann allerdings sein, dass im Fachbeirat des Bremer „Kunst auf Rezept“-Ablegers neben dem Gesundheitsressort schon jetzt auch Krankenkassen und kassenärztliche Vereinigung vertreten sind. Jan-Paul Koopmann