Hamburg bekommt ein Krisentelefon

Unmittelbar nach Drucktermin des aktuellen EPPENDORFER legte der Hamburger Senat jetzt auch offiziell den seit langem erwarteten Psychiatriebericht für Hamburg vor. Die wesentlichen Neuerungen: In diesem Jahr startet ein Krisentelefon, das psychisch kranken Menschen in akuten Notsituationen helfen soll. Darüber hinaus wird es zunächst in Harburg eine verbindliche regionale Kooperation zwischen Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Therapeuten, sozialpsychiatrischen Diensten und Einrichtungen sowie den Behörden geben, um schwerst psychisch Kranken wohnortnah individuelle Hilfe zukommen zu lassen. Dieses Netzwerk soll anschließend verlässlich in allen Bezirken etabliert werden.

 

Der Psychiatrie-Bericht der Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz (BGV) sowie der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration (BASFI) dokumentiert die in Hamburg bestehenden Strukturen und Angebote der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung und benennt Maßnahmen, um die Versorgung weiter zu verbessern.  Die Analyse für Hamburg zeige: „Die Stadt verfügt über ein sehr dichtes Netz wohnortnaher psychiatrischer Krankenhausabteilungen und Tageskliniken, darunter neun Krankenhausabteilungen für Psychiatrie und Psychotherapie mit insgesamt 1.621 Betten sowie 29 psychiatrischen Tageskliniken mit 605 Behandlungsplätzen. Daneben gibt es in der Hansestadt sieben Krankenhäuser mit speziellen Stationen und Tageskliniken für Gerontopsychiatrie sowie fünf Kinder- und Jugendpsychiatrische Abteilungen mit 217 Betten und sieben Tageskliniken mit 74 Plätzen. In der ambulanten Versorgung gab es in Hamburg Ende 2017 über 1.200 Ärztinnen und Ärzte (z. B. Fachärztinnen und -ärzte für Neurologie und Psychiatrie) sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten. Damit kann die Stadt einen Versorgungsgrad von 160 Prozent bei Psychotherapeutinnen und -therapeuten und 122 Prozent bei Nervenärztinnen und -ärzten aufweisen.”

Doch: „Obwohl wir eine psychiatrische und psychotherapeutische Versorgungsdichte haben, die man bundesweit kein zweites Mal findet, müssen auch in Hamburg Patientinnen und Patienten außerhalb von Kriseninterventionen mehrere Monate auf einen ambulanten Therapieplatz warten. Wir brauchen dringend eine neue Bedarfsplanungsrichtlinie, die nicht die Versorgungssituation der 90er Jahre fortschreibt, sondern soziale Situation und Krankheitslast der Bevölkerung berücksichtigt. Auch sollte kleinräumiger geplant werden“, so Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks.

 

Die Termin-Servicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung vermittele im Quartal über 2.000 Psychotherapie-Termine. Damit psychisch kranke Menschen in einer akuten Krisen- und Notsituation auch außerhalb der üblichen Arbeitszeiten Hilfe finden, soll in diesem Jahr ein Krisentelefon eingerichtet werden, das vom sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirks Altona organisiert wird. Das Krisentelefon soll täglich von 17 bis 8 Uhr und an Wochenenden durchgehend zu erreichen sein. „Es ist weder Telefonseelsorge noch Terminvermittlung, sondern soll von Kranken oder Angehörigen in krisenhaften Notsituationen genutzt werden. Bei Bedarf wird an Tageskliniken, Krankenhäuser, Sozialpsychiatrische Dienste sowie psychiatrische Institutsambulanzen oder Einrichtungen der ambulanten Sozialpsychiatrie weitervermittelt”; heißt es dazu weiter.

Gesundheitssenatorin Prüfer-Storcks: „Wir haben zur Zeit ausreichende stationäre und teilstationäre Kapazitäten in Hamburg und steuern bei Bedarf nach. Wir müssen aber daran arbeiten, dass psychisch Kranke nicht unnötig hospitalisiert werden und insbesondere schwerst und chronisch Kranke schnellen Zugang zur Versorgung finden. Niemand soll durch das Netz unserer Hilfen fallen.“

Um psychisch kranken Menschen in jedem Bezirk wohnort- und zeitnah erforderliche Hilfe gewähren zu können,  sollen niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten, Krankenhäuser, sozialpsychiatrische Dienste und Einrichtungen sowie die Behörden künftig verbindliche Kooperationen eingehen. „Dabei soll vor allem Erkrankten mit einem komplexen Hilfebedarf geholfen werden, also solchen, die neben einer psychischen Erkrankung auch etwa von Wohn- und Arbeitslosigkeit, körperlichen Beeinträchtigungen, Suchtverhalten etc. betroffen sind”, so dazu die Pressemitteilung des Senats. Eingebunden werden sollen hierbei neben der klinisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung auch Einrichtungen wie etwa die Obdachlosenhilfe, das Suchthilfesystem, das Fachamt Eingliederungshilfe oder Träger der beruflichen Rehabilitation. Diese Kooperationspartner verpflichten sich dabei, die Hilfen so effektiv und verantwortungsbewusst wie möglich einzusetzen und niemanden wegen Art und Schwere der Störung auszuschließen. Die Menschen mit einer psychischen Erkrankung sollen möglichst individuell zugeschnittene Hilfen in ihrem Lebensfeld erhalten. In einem ersten Schritt soll modellhaft eine solche Kooperation im Bezirk Harburg erprobt werden, da dort Vereinbarungen zwischen den ambulanten, teilstationären Diensten und dem Asklepios Klinikum Harburg bereits seit mehr als 20 Jahren stark ausgeprägt sind. Für das Krisentelefon und das Modellvorhaben in Harburg werden die BGV und die BASFI finanzielle Mittel in Höhe von 310.000 Euro zur Verfügung stellen.

Für die Beratung und Behandlung von Folteropfern und traumatisierten Geflüchteten wird im Sommer 2019 ein koordinierendes Zentrum eröffnen, das die Beratungs- und Unterstützungsangebote für Geflüchtete in einem Netzwerk zusammenführen, ihre Arbeit unterstützen und stärken soll. Zur Überwindung von Barrieren bei der sprachlichen und kulturspezifischen Verständigung werden darüber hinaus Dolmetscherleistungen vom Senat weiterhin gefördert.

Für obdachlose Menschen seien bereits 2013 drei Schwerpunktpraxen mit hausärztlichen und psychiatrischen Sprechstunden modellhaft eingerichtet worden, die einen niedrigschwelligen Zugang in die Gesundheitsversorgung eröffnen. Seit 2016 sind diese durch Vereinbarung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, der kassenärztlichen Vereinigung Hamburg und der BASFI in ihrem Bestand gesichert und entfristet.

Zum vollständigen Psychiatriebericht geht es hier:   https://www.hamburg.de/krankenhaus/5525860/psychiatrische-versorgung/

Eine ausführlichere Darstellung und Bewertung lesen Sie in der EPPENDORFER-Ausgabe 3/2019, die Anfang Mai erscheint.