Kooperation statt Heim

Manche Jugendliche haben vielfältige Probleme, für sie passen oft keine einfachen Konzepte.(Symbol-) Foto: S. Hofschläger / pixelio.de

„Wegschließen ist out“ betitelte die „taz” 2018 einen Artikel, in dem berichtet wird, das Hamburg in drei Jahren nur einen Jugendlichen in einem geschlossenen Heim untergebracht habe – in Bayern.  Ein wesentlicher Grund liegt in der „Koordinierungsstelle individuelle Hilfen“ des Paritätischen Hamburg. Diese wurde 2014 nach der Schließung der brandenburgischen Haasenburg-Heime entwickelt, in die Hamburg bis dato viele „schwierige Jugendliche” geschickt hatte – und zog nun zum fünfjährigen Bestehen eine positive Zwischenbilanz. Seit ihrem Start vor fünf Jahren hat die Koordinierungsstelle insgesamt 100 Fälle bearbeitet, die an sie herangetragen wurden. Dabei handelt es sich um Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren, von denen mit abnehmender Tendenz fast zwei Drittel Jungen sind. Das Durchschnittsalter beträgt 15 Jahre.

Die Koordinierungsstelle  unterstützt die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) in besonders schwierigen Fällen. Sie sucht möglichst dauerhafte Lösungen für die jeweiligen Jugendlichen, „um ihnen ein stabiles und weitgehend selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dabei werden die sogenannten Systemsprenger mit ihren Bedürfnissen deutlich ernster genommen als früher“, heißt es in einer Pressemitteilung. So könnten die Beweggründe der oft vielfach traumatisierten Mädchen und Jungen besser verstanden und mit ihnen sowie ihren Familien gemeinsam Angebote gefunden werden, die auf Akzeptanz stoßen und somit für die Jugendlichen nachhaltig hilfreich sind.

Fast 50 Prozent sind alkohol- oder drogensüchtig

„Diese Kinder haben viel Schlimmes erlebt. 41 Prozent sind bereits mindestens einmal straffällig geworden, fast 50 Prozent von ihnen sind alkohol- oder drogensüchtig und 61 Prozent geraten durch ihre unkontrollierte Impulsivität immer wieder in Konflikte“, beschreibt Maren Peters, Projektleiterin der Koordinierungsstelle, die Jugendlichen. Bei 68 Prozent wurden psychiatrische Erkrankungen diagnostiziert, die oft die Folge von einem oder mehreren traumatischen Erlebnissen seien. Sie hätten meist mehrere stationäre Aufenthalte hinter sich und würden von den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe kaum noch erreicht. „Viele der Jugendlichen haben zu viele innere oder äußere Konflikte, um bei ihren Eltern oder in einer Jugendwohngruppe leben zu können”, so Peters.

Für die betroffenen Kinder oder Jugendlichen bedeute jeder Abbruch einer sozialpädagogischen Maßnahme den Verlust von Beziehungen und gehe einher mit einem zunehmenden Vertrauensverlust in Erwachsene: „So trägt das System selbst dazu bei, sogenannte Systemsprenger zu produzieren.“ 

Und was setzt die Koordinierungsstelle dagegen?  „Um die teilweise gewalttätigen, selbstgefährdenden oder kriminellen Handlungen dieser Kinder zu verstehen, müssen wir mit ihnen sprechen und sie sowie ihre Wünsche und Bedürfnisse ernst nehmen“, macht Peters deutlich.  So könne es beispielsweise sein, dass ein Jugendlicher seinen „Rauswurf“ aus einer Wohngruppe provozieren will. „Wenn sein Verbleib dort in Frage steht, kann eine Auszeit sinnvoll sein, damit der Jugendliche anschließend in die Wohngruppe zurückkehren kann.“

Ein Verbund aus mehreren freien Trägern der Jugendhilfe berät jeden Fall und erarbeitet gemeinsam mit den betreffenden Jugendlichen und deren Familien ein Setting, das die Probleme minimiert und den Jugendlichen eine Perspektive bietet. „So konnten viele Abbrüche von Hilfemaßnahmen verhindert oder bessere Lösungen gefunden werden.“

„Diese Praxis hat die Zusammenarbeit in der Hamburger Jugendhilfe in den vergangenen Jahren verändert“, resümiert Kristin Alheit, Geschäftsführerin des Paritätischen Hamburg. „Vielfach gab es Reibereien zwischen öffentlicher Hand und privaten Trägern mit viel Druck, eine schnelle Unterbringung zu finden, was für die Jugendlichen nicht immer das Beste war. Nun erleben wir, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen, das Wohl der Jugendlichen im Mittelpunkt steht und ganz individuelle Lösungen entstehen.“

Das Projekt sei mittlerweile beispielgebend für andere Bundesländer, so sei Berlin letztes Jahr bei der Einführung des Hamburger Modells begleitet worden. Auch Jugendämter in Brandenburg und Sachsen haben sich von den Hamburger Koordinatorinnen beraten lassen. Die Koordinierungsstelle wird noch bis Ende dieses Jahres von der Sozialbehörde finanziert. Über eine Weiterfinanzierung muss jetzt verhandelt werden … (rd)