Die neue Ausgrenzung
durch Wohnungsnot

Es werden immer mehr Wohnungen gebaut. Trotzdem steht für Menschen in Notlagen immer weniger Wohnraum zur Verfügung. Foto: Hinrichs

Rainer Hölzke ist Psychologe und leitete bis zu seinem Ruhestand 2015 die Gemeindepsychiatrischen Dienste Hamburg Nordost GmbH (GPD). Er ist weiter Chef der gHWV (gemeinnützige Hamburger Wohnungs- und Vermietungsgesellschaft) und ehrenamtlich bei Schlüsselbund eG aktiv. Aus der langjährigen Arbeit im Vorstand in der Hamburgischen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (HGSP) zog er sich im Herbst 2017 nach fast 40 Jahren zurück. Foto: hin

Teilhabe und Inklusion ist in aller Munde. Dabei werden die, um die es dabei geht – Menschen, denen es nicht gut geht – immer mehr aus Hamburg heraus und an den Rand gedrängt, warnt Rainer Hölzke vor den eklatanten Folgen der Wohnungsnot für Menschen mit seelischen Erkrankungen. Der EPPENDORFER sprach mit dem Urgestein der Hamburger Sozialpsychiatrie darüber, was droht. Und auch darüber, wie Abhilfe aussehen könnte. Ein Beispiel ist die Wohnungsgenossenschaft Schlüsselbund eG, die nach jahrelanger Grundstückssuche endlich fündig geworden ist.

EPPENDORFER: Am Anfang ihres Berufslebens kämpften Sie gegen die „Abschiebung“ psychisch kranker Menschen aufs Land, heute, schon berentet, kämpfen Sie offenbar immer noch bzw. wieder an der gleichen Front …

RAINER HÖLZKE: Ja, früher wollte man die Kranken in Hamburg nicht haben. Heute werden sie wegen Wohnraummangel aus Hamburg herausgedrängt. 

EPPENDORFER: Aber in Hamburg wird doch wie wild gebaut.

HÖLZKE: Ein Grundproblem ist, dass trotzdem zugleich weit mehr Sozialwohnungen aus der Sozialbindung herausfallen als neue gebaut werden. Die Sozialbindung müsste auf 30 bis 40 Jahre verlängert werden. Auch die Baukosten sind enorm gestiegen. Die Auflagen im Bereich energetisches Bauen sind sehr hoch, hier könnte man Abstriche erwägen, um die Kosten zu reduzieren. 

EPPENDORFER: Um die Schaffung bezahlbaren Wohnraums zu fördern, wurde auf Initiative der Grünen 2009 beschlossen, die Vergabe von städtischen Grundstücken nicht mehr nach dem Höchstgebotsverfahren, sondern nach Konzeptqualität zu vergeben. Hat das nicht geholfen?

HÖLZKE: Das nützt nichts, wenn trotz guter Konzeptqualität letztendlich doch an den Meistbietenden verkauft wird. In der Realität werden außerordentlich hohe Summen verlangt. Die Stadt müsste Grundstücke tatsächlich für weniger Geld abgeben. 

EPPENDORFER: Und was ist mit dem städtischen Wohnungsbaukonzern SAGA, die günstiger Grundstücke erhält?

HÖLZKE: Wir haben von „Schlüsselbund“ aus mit der SAGA gesprochen und darum gebeten, bei größeren Projekten quasi einen Hauseingang „abgetreten“ zu bekommen, um die Wohnungen dann an Menschen mit Behinderung zu vermieten. Aber darauf wollte sich die SAGA nicht einlassen. „Zu kleinteilig“ hieß es. Für Menschen mit Behinderungen machen aber ausschließlich kleinräumige, dezentrale Lösungen Sinn. Es sollen keine Ghettos entstehen. 

EPPENDORFER: 2010 wurde die Wohnungsgenossenschaft Schlüsselbund eG von über 20 sozialen Trägern gegründet. Mit der Geschäftsbesorgung wurde die STATTBAU GMBH beauftragt. Erklärtes Ziel damals war es, innerhalb der nächsten zehn Jahre 500 Wohnungen für benachteiligte Menschen schaffen zu wollen. Was ist daraus geworden?

HÖLZKE: Wir haben jahrelang vergeblich nach Flächen gesucht. Jetzt endlich wurden uns zwei Grundstücke anhandgegeben, für die wir nun eine konkrete Planung aufstellen. Die Finanzierung wird außerordentlich schwierig, aber wir gehen davon aus, dass wir, wenn es gut läuft, bis Ende 2019 zwei Apartmenthäuser in Osdorf und Neuallermöhe fertig stellen können. Damit hätten wir dann Einzim-

mer-Apartments für 60 bis 70 Menschen mit Behinderungen, die die beteiligten Träger belegen können und die Schlüsselbund verwalten und vermieten würde. 

EPPENDORFER: 60 bis 70 Apartments, das hört sich eher nach einem Tropfen auf den heißen Stein an. Was muss passieren?

HÖLZKE: Die Situation spitzt sich immer weiter zu. Extreme Ausformung davon ist, dass der Wohnraummangel zu „Verstopfungen im Versorgungssystem“ dergestalt führt, dass Menschen teils nicht aus Kliniken oder Heimen entlassen werden können, weil es keine Wohnung für sie gibt. Die Zahl an (geschlossenen) Heimplätzen ist mehr als ausreichend, meine ich – wenn es genügend Wohnungen gäbe. Es wäre fatal und würde nicht der UN-Behindertenkonvention entsprechen, den Mangel an Wohnraum mit zusätzlichen stationären Plätzen zu beantworten. Gut wäre, wenn es so etwas wie einen Aufschrei aller sozialen Träger und Institutionen inklusive der Chefärzte gäbe, um die Problematik öffentlich zu machen.                      Anke Hinrichs

Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 4 / 2018