Demenz,
Tod und Trauer

Pantomime Christoph Gilsbach vom Physical Theater Münster stellte Szenen eines Lebens dar und rückte dabei dem stummen Tod mal näher, mal ferner. Foto: Geißlinger

Immer mehr Menschen leben mit einer Demenz – also sterben auch immer mehr Menschen mit Demenz. Eine Tagung der Alzheimer-Gesellschaft Schleswig-Holstein widmete sich „Sterben, Tod und Trauer“. Ein Fazit der Veranstaltung in Rendsburg, an der rund 100 Interessierte teilnahmen: In vielen Fällen ist gar nicht der Tod selbst das Problem, sondern der Umgang damit.

Der Tod ist immer derselbe. Als stumme Gestalt mit einem schwarzen Loch anstelle des Gesichts sitzt er in der Ecke der Bühne, auf der der Pantomime Christoph Gilsbach Szenen eines Lebens darstellt und dabei dem stummen Tod mal näher, mal ferner rückt. Für das Kind ist er etwas, das nur anderen passiert. Für den Soldaten ist er ein Arbeitskollege, für den koksenden High Performer ein lästiges Gerücht, für den Alten ein vertrauter Freund.
Doch was, wenn die Demenz es schwer macht, das eigene Leben und Sterben zu verstehen? Rund die Hälfte aller Demenzkranken stirbt zuhause, die anderen zu etwa gleichen Teilen in Pflegeeinrichtungen oder im Krankenhaus, berichtete Claudia Kemper, Professorin für Versorgungsforschung in Therapie und Pflege an der Apollon-Hochschule in Bremen, die über „Palliativ Care bei Menschen mit Demenz“ referierte.

Meist wird nur an Medikation gedacht

Der Umgang mit Sterbenden, die Qualität des Sterbens sei sehr unterschiedlich, so die Pflegeforscherin, die sich wünschte, dass die therapeutischen Berufe eine größere Rolle spielen sollten: Meist werde nur an Medikation gedacht, nicht an Aromatherapie oder Basale Stimulation. Ein Problem sei, dass auch Fachleute aus Pflege und Ärzteschaft nicht erkennen, dass der Sterbeprozess begonnen habe, daher würden immer noch Sterbende in Kliniken gebracht – „nicht aus Not, sondern aus Unsicherheit“. Dort seien die Zustände teils unwürdig, und „darüber müssen wir uns empören!“, forderte Kemper. Es brauche Zeit für ein gutes Sterben, aber auch Fachwissen. So solle Palliativ-Versorgung Teil jeder medizinischen Ausbildung werden und in Heimen und Krankenhäusern die vorausschauende Planung, Advanced-Care, in die Organisation aufgenommen werden. Gemeint ist, dass sich der Betroffene, Angehörige, Ärzteschaft und Pflege bereits vor der letzten Phase Gedanken über das Sterben machen.

„Auch ein Sterben in Würde ist ein sinnvolles Ziel”


Diesen Gedanken griff Sebastian Heinlein, Altenpfleger und Vorsitzender der Mobilen Ethikberatung im Gesundheitswesen für Schleswig-Holstein (MEGSH) aus Lübeck, auf. Er schilderte einen typischen Fall: Ein Demenzkranker lebt in einer Pflegeeinrichtung, isst und trinkt immer weniger, will nur noch selten in seinen Rollstuhl, zieht sich zurück. Die Tochter wirft der Pflege vor, sich zu wenig zu kümmern, fordert genaue Listen, was der Vater gegessen und getrunken hat, verlangt, dass er in den Rollstuhl gesetzt wird. Die Pflegekräfte halten das für falsch, beugen sich aber schließlich dem Druck.
Das Problem sei, dass die Beteiligten uneinig über die Ziele der Behandlung seien, erklärte Heinlein: „Die Verlängerung der Lebenszeit ist ein legitimes Ziel, genauso wie die Verbesserung der Lebensqualität. Aber auch ein Sterben in Würde ist ein sinnvolles Ziel.“ Es gelte abzuwägen, ob eine Behandlung mehr schade, als sie nutze. Dazu gehöre, die Futility, die Aussichtslosigkeit, zu akzeptieren. Dennoch bedeute das nicht, die Hoffnung aufzugeben – die Hoffnung auf weniger Schmerzen und einen guten Tod.

Der „weiße Tod” des langsamen Abschiednehmens


Die Angehörigen von Menschen mit Demenz erleben das Sterben ihrer Lieben oft als langen Prozess: Als „weißen Tod“ bezeichnete Brigitte Voss, Pädagogin, Beraterin und Vorstandsmitglied der Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein aus Rendsburg, das langsame Abschiednehmen, das mit dem Fortschreiten der Krankheit einhergeht. Allerdings werde das Gefühl meist nicht als Trauer erkannt, sondern die Traurigkeit als Teil der Überforderung gesehen, die durch die Pflege entsteht, und damit weggeschoben. „Sie dürfen traurig und wütend sein“, wandte sich Voss an die Angehörigen. „Der Mut zur Trauer hilft, die Lage anzunehmen.“ In Selbsthilfegruppen könnten sie sich austauschen und die Gefühle mit anderen teilen. Wichtig sei, sich Zeit für eigene Interessen zu nehmen.
Das gelinge Männern oft besser als Frauen: „Gerade die Älteren finden Aufopferung normal. Männer sehen die Pflege eher als Projekt, das erledigt werden muss.“ Allerdings erhielten sie auch mehr Anerkennung, fügte Voss hinzu.

Demenzkranke sind auch Hinterbliebene


Demenzkranke sind nicht nur Sterbende, sie sind auch Hinterbliebene – und sollten bei Trauerfeiern mit einbezogen werden, davon ist Sybille Wetzel überzeugt: „Das Herz bekommt keine Demenz. Menschen spüren, wenn jemand fehlt, auch wenn es ihnen nicht gesagt wird.“ Die Bestatterin bietet seit einigen Jahren eine Schulung für „Demenzfreundliche Bestattungen“ an. Wie eine Trauerfeier mit Demenzkranken ablaufen soll, sei „Maßarbeit, wie in jedem anderen Fall auch“. Oft hätten Angehörige oder Pflegekräfte Bedenken, die Demenzkranken mit in die Kirche oder auf den Friedhof zu nehmen. „Doch unserer Erfahrung nach geht es nie schief – was immer schief gehen bei einer Trauerfeier bedeuten soll.“
Der Tod saß übrigens während der ganzen Veranstaltung auf der Bühne, der Pantomime hatte seinen stummen Partner dort gelassen. Esther Geißlinger

(Erstveröffentlichung in der Printausgabe 2/24)