Das Drama
von Lesbos

Blick in eine Gasse des Olive Grove, dem „wilden" Lager neben dem abgebrannten Lager Moria, fotografiert im Sommer 2020. Foto: Ralf Henning

Aktuelle Angaben der Hilfsorganisation International Rescue Committee (IRC)* zur psychischen Gesundheit Geflüchteter auf Lesbos, Samos und Chios sind alarmierend. Laut Daten, die IRC- Psycholog*innen zwischen März 2018 und Oktober 2020 erhoben haben, zeigten von insgesamt 904 betreuten Personen 41 Prozent Symptome einer post-traumatischen Belastungsstörung, 35 Prozent berichteten von Suizidgedanken, 18 Prozent von Suizidversuchen. Unmittelbar nach dem ersten Lockdown habe das IRC einen 71prozentigen Anstieg von Personen registriert, die über psychotische Symptome klagten, und einen 66prozentigen Anstieg von Selbstverletzungen.

Die strengen Abstandsregelungen hätten dazu geführt, dass die Menschen nicht mehr in der Lage seien, die Grenzen der Lager zu verlassen. Sie seien auf noch kleinerem Raum untergebracht. Geflüchtete seien gezwungen, sich Wasserstellen und Toiletten zu teilen, was regelmäßiges Händewaschen erschwere und die Angst um ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden verstärke, heißt es in einer Pressemitteilung von IRC.

Abstandsregelungen erschweren die Situation weiter

Fünf Jahre nach der Einrichtung von Aufnahmezentren wie dem Lager Moria auf Lesbos sind immer noch fast 15.000 Menschen in Griechenland gestrandet. Dimitra Kalogeropoulou, Direktorin des IRC Griechenland: „Die psychische Gesundheit der Geflüchteten wurde in diesem Jahr durch die verheerenden Brände auf Lesbos und Samos, durch COVID und die damit verbundenen Lockdown-Maßnahmen sowie durch die Verlegung in ein neues provisorisches Aufnahmezentrum auf Lesbos, das noch keine sicheren Lebensbedingungen bietet, schwer beeinträchtigt. In Kara Tepe soll die humanitäre Lage nach Einschätzung von Hilfsorganisationen noch schlimmer sein als in Moria, dem völlig überfüllten alten Lager.

„IRC-Psychologinnen haben mir erzählt, wie die Menschen gezwungen werden, in den Lagern zu bleiben, in denen es schmutzig und gefährlich ist, in denen sie für Essen und Gemeinschaftstoiletten Schlange stehen müssen und in denen es kaum Platz für Hygiene und Abstand halten gibt”, so Dimitra Kalogeropoulou.

Kein Psychiater in den Flüchtlingslagern

NGOs helfen weiterhin, die Lücken zu füllen, die durch die fehlende Unterstützung der EU und die griechische Regierung entstanden sind. Im November 2020 habe es in keinem der Lager einen Psychiater*in gegeben, während die von den NGOs angebotenen Dienste, die diese Versorgungslücke schließen sollen, deutlich überbelegt seien.
IRC bietet seit 2016 psychologische Unterstützung für Geflüchtete in Griechenland an. 2018 startete die Organisation ein spezielles Programms für psychische Gesundheit auf Lesbos, das inzwischen auf die Inseln Samos und Chios ausgeweitet wurde.

*Das International Rescue Committee (IRC), bis 1942 International Rescue and Relief Committee (IRRC), ist eine internationale Hilfsorganisation für Flüchtlinge und Kriegsopfer mit Sitz in New York City.   Das IRC wurde 1933 auf Vorschlag von Albert Einstein gegründet, um Flüchtlingen vor dem Naziregime zu helfen. Heute unterstützt es einerseits Flüchtlinge in den  und ist aber auch in Krisengebieten weltweit aktiv.   (rd)