PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen warnen angesichts der aktuellen Debatte um ein Register für psychisch Erkrankte vor einem Generalverdacht gegen Menschen mit psychischen Problemen. Eine Registrierung sowie eine Aufweichung des Arztgeheimnisses verringere die Wahrscheinlichkeit, dass Betroffene sich Hilfe suchen und seien „kein geeignetes Mittel der Gewaltprävention“, warnt die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). „Wir brauchen keine Aufweichung des Arztgeheimnisses, sondern bessere und intensivere Behandlungsmöglichkeiten für Betroffene“, so DGPPN-Präsidentin Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V. äußerte Erschrecken über die Rufe nach Registrierung – ausgerechnet 2025 „zum 80. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa sowie anlässlich des 50. Jahrestages der Psychiatrie-Enquete“ . Die Registrierung von Menschen habe zu früheren Zeiten zu Entwicklungen geführt, „die jede menschliche Humanität vermissen ließen.“ Wenn jetzt „nach einem geordneten Monitoring psychisch auffälliger Menschen“ gerufen werde, „dann verschieben sich gesellschaftliche Aufmerksamkeiten. Seelisch erkrankte Menschen werden möglicherweise zur Projektionsfläche einer gesellschaftlichen Mehrheit, die andere bedenkliche Phänomene nicht in den Blick nehmen will.“
„Seelisch erkrankte Menschen werden möglicherweise zur Projektionsfläche”
Auslöser der Diskussion war ein Interview mit dem Bundestagsabgeordneten und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am 30. Dezember 2024 im Deutschlandfunk. Vor dem Hintergrund des Anschlags auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt forderte er darin „einen Austausch der Behörden untereinander, der Sicherheitsbehörden auch mit der Psychiatrie, mit Psychotherapeuten und vielen mehr“ sowie die Erstellung eines Registers nicht nur für Rechtsextremisten und Islamisten, sondern „auch für psychisch Kranke“.
Fassungslos darüber, dass Linnemann „als Generalsekretär einer großen demokratischen Partei psychisch Kranke in eine Reihe mit politischen Extremisten“ stelle und dadurch suggeriere, psychisch kranke Menschen seien potenziell ebenso gefährlich, äußerten sich in einem offenen Brief der Essener Oberarzt Simon Kurzhals sowie der stellvertretende Direktor der Universitätspsychiatrie Hannover, Prof. Helge Frieling.
„Aktuell nur jede fünfte Person mit psychischer Erkrankung in Behandlung”
Dass Linnemann sich dafür ausspreche, die ärztliche Schweigepflicht aufzuheben – „und nichts anderes bedeutet es, wenn Sie „einen Austausch (..) der Sicherheitsbehörden auch mit der Psychiatrie, mit Psychotherapeuten“ verlangen“ – sei „ungeheuerlich“. Und kontraproduktiv: „Scham und die Sorge vor Ausgrenzung führen schon jetzt dazu, dass sich viele Menschen mit psychischen Erkrankungen erst nach langem Zögern eine bedarfsgerechte Behandlung suchen, oft sogar erst mit jahrelanger Verzögerung. Aktuell befindet sich lediglich jede fünfte Person mit einer psychischen Erkrankung in Behandlung. Anstatt zusätzlich Ängste in der Bevölkerung und bei den Betroffenen zu schüren, sollte viel mehr dafür getan werden, Vorurteile gegenüber psychisch kranken Menschen abzubauen.“ Beide machen zudem deutlich, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen häufiger Opfer von Gewalt würden „als dass sie eine Gefahr für ihre Mitmenschen darstellen.“
Berufsverband der PsychologInnen mahnt zu Besonnenheit
Auch der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP) weist Forderungen nach einem Register zurück und mahnt zu Besonnenheit: „Stigmatisierung und Ausgrenzung von Geflüchteten und psychisch erkrankten Menschen verhindern keine Gewalttaten in Deutschland“. Zudem schreibt der Verband in einer Pressemitteilung:
„Ein Register psychisch erkrankter Straftäter besteht bei den Sicherheitsbehörden. Und auch bei psychisch Erkrankten, die Straftaten planen, ist die Rechtslage geregelt. Geheimnisträgerinnen wie Ärztinnen und Psycholog*innen sind hier von ihrer Schweigepflicht entbunden, Personen können bei entsprechendem Verdacht zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung auch zwangsweise in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden und die Ausweisung von straffällig gewordenen Geflüchteten ist ebenfalls gesetzlich geregelt.”
„Das beste Mittel der Gewaltprävention ist die konsequente Behandlung”
„Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten“, macht DGPPN-Präsidentin Prof. Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank deutlich. „Nur bestimmte psychische Erkrankungen können mit einem erhöhten Risiko für Gewalttaten einhergehen, und dies auch nicht regelhaft, sondern nur unter bestimmten Bedingungen und wenn die Erkrankung nicht oder nicht ausreichend behandelt wird.“ Das beste Mittel der Gewaltprävention sei die konsequente Behandlung der Betroffenen. „Deshalb ist es wichtig, dass insbesondere Menschen mit Psychosen und Suchterkrankungen, die ohne Behandlung ein erhöhtes Risiko für Gewalttaten aufweisen, frühzeitig eine koordinierte und intensive Therapie bekommen.“ Mit psychotherapeutischen und medikamentösen Behandlungen lasse sich das Risiko für aggressive Handlungen deutlich senken. „Dafür müssen psychiatrische Einrichtungen und sozialpsychiatrische Dienste leichter zugänglich, besser ausgestattet und insgesamt ausgebaut werden.“
Bei Hinweisen darauf, dass ein Patient oder eine Patientin eine Gefahr für sich oder für andere darstellt, seien Ärztinnen und Therapeutinnen schon jetzt in der Lage, tätig zu werden. „Wir brauchen hierfür keine neuen oder verschärften Gesetze. Die derzeitigen Möglichkeiten, Menschen auf Grundlage der Psychisch-Kranken-Gesetze der Länder in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, müssten nur stärker genutzt werden – von Medizinerinnen und Medizinern und auch von den Gerichten.“
Die DGPPN erarbeite derzeit ein umfassendes Positionspapier mit Hintergrundinformationen und Vorschlägen für einen verbesserten Umgang mit denjenigen psychisch kranken Menschen, die ein Gefährdungspotential entwickeln könnten. „Gern stellen wir diese Expertise den politischen Entscheidern zur Verfügung.“