Auf die sanfte Art

Infolge der Zunahme an psychiatrischen Diagnosen steigt die Bedeutung ganzheitlicher Therapiekonzepte auch in der Psychiatrie. Im AMEOS Klinikum Dr. Heines werden naturheilkundliche Verfahren seit jeher in die Praxis einbezogen. Bereits zum achten Mal veranstaltete die Klinik die „Bremer Fachtage für Naturheilkunde“ – in diesem Jahr erstmals berufsübergreifend. Experten aus ganz Deutschland demonstrierten ihre Behandlungsmethoden, ermöglichten in Workshops einen Einblick in die Praxis und versetzten die Teilnehmer auf den neuesten Stand naturheilkundlicher Forschung. Rund 120 Pflegefachkräfte, Ärzte, Psychologen, Therapeuten, Apotheker, Heilpraktiker und Betroffene nahmen an dem zweitägigen umfangreichen Programm teil.

 

BREMEN. „Natur und Naturwissenschaft sind für uns kein Widerspruch“, sagte Professor Dr. Uwe Gonther, ärztlicher Direktor des AMEOS Klinikums Dr. Heines, zum Auftakt der Tagung. Mit Naturheilmethoden versuche man in Bremen die Selbstheilungskräfte der Patienten zu wecken und über einen ganzheitlichen Ansatz mit anderen Verfahren zu verbinden. Ein Beispiel ist die Traditionelle chinesische Medizin (TCM). In der jahrtausendealten fernöstlichen Heilkunde werden Körper, Geist und Seele als Einheit betrachtet.

Urquell aller Kräfte ist das Qi.

Es beeinflusst Bewegung, Verdauung oder Blutfluss. Emotionen sind demnach eine spezifische Bewegung des Qi. Es steht im Zusammenhang mit den fünf Speicherorganen Herz, Lunge, Leber, Milz und Niere. „Die Organe tragen zwar die gleichen Namen wie in der westlichen Medizin, dürfen jedoch keineswegs mit unserem Verständnis gleichgesetzt werden“, erklärte Jürgen Mücher. Der niedergelassene Arzt ist seit über 20 Jahren Experte in der Behandlung mit TCM und Naturheilverfahren. Über die enge Verbindung leiblich-seelischer Symptome könne man Störungen erkennen. Wem sprichwörtlich eine „Laus über die Leber gelaufen ist“, der hat schlechte Laune. „Die chinesische Medizin kann unterstützend zur Vorbereitung oder wenn es Hindernisse gibt eingesetzt werden, aber sie kann die Psychotherapie nicht ersetzen“, so Müchers Erfahrung.

Vier typische Zustände,   auf die  TCM-Therapeuten einwirken können

Bei den ersten beiden stehe die Person mit ihren Gefühlen nicht im Kontakt. Entweder sei der emotionale Ausdruck dann blockiert („Obstruktion“) oder er sei unangemessen stark („die fünf Willenskräfte wandeln sich in Feuer um“). Bei den anderen beiden Szenarien könne der Patient dem Therapieprozess nicht folgen oder ihn nicht umsetzen, weil er entweder geistig, seelisch erschöpft und resigniert ist („Mangel an Geist-Qi“) oder weil es ihm aufgrund von Nervosität und Unkonzentriertheit an Ruhe fehle („der Herz-Geist verliert seine Ausgeglichenheit“). Neben Arznei- und Ernährungstherapie setzt die TCM vor allem auf Akupunktur, Akupressur, Moxibustion (erwärmen bestimmter Körperpunkte) und Bewegungsformen wie Qi-Gong. Evidenzbasierte Belege für die Wirkung der chinesischen Behandlung gebe es vor allem bei Depressionen, Angststörungen, zu Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), Drogenentzug und bei bestimmten Psychosen.

Alternative Depressionsbehandlung 

Wie eine Depression mit naturheilkundlichen und alternativen Heilverfahren bewältigt werden kann, schilderte Sabine Ansari im Anschluss aus ihrer Erfahrung als Heilpraktikerin und Betroffene. Gemeinsam mit ihrem Mann Peter Ansari hat sie das Buch „Unglück auf Rezept“ verfasst, das sich kritisch mit gängigen Medikamenten gegen Depressionen auseinander setzt. „Das erste, was mich meine Patienten fragen, wenn sie ihre Antidepressiva absetzen, ist: Und was nehme ich nun?“, so Ansari. Sie würden dann am liebsten eine andere Tablette einnehmen. Aber das ginge eben nicht so einfach. „Die Depression ist eine Krankheit, die ebenso individuell wie komplex ist und genauso sollte man sie auch behandeln“, ist Ansari überzeugt. Wichtig sei, dass man eine gesicherte Depression rasch behandelt und nicht abwartet, um weitere Episoden in der Zukunft möglichst zu vermeiden. Als Alternativen zur medikamentösen Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen schlägt sie neben regelmäßigem Sport und Psychotherapie Massagen und Meditation vor. Auch verschiedene Heilpflanzen, allen voran Johanniskraut und die beruhigend wirkenden Hopfen, Baldrian, Melisse oder Lavendel. Hier gelte es jedoch auszuprobieren, denn jeder Patient reagiere anders. Insbesondere für Patienten mit Unruhe eigneten sich meditative Bewegungsformen wie Yoga, Qi-Gong oder Tai-Chi. Ganz wesentlich sei jedoch die Einstellung: „Patienten und Angehörige haben oft nur noch den Wunsch, dass die Depression so schnell wie möglich weg sein soll“, weiß Ansari aus ihrer Praxiserfahrung. Doch oftmals sei es hilfreich, die Situation und die Krankheit anzunehmen, den selbstzerstörerischen Widerstand aufzugeben und die Erkrankung sogar als Potential zu sehen.

Dr. Heidrun Riehl-Halen