Trotz umstrittener Wirksamkeit hat die US-Arzneimittelbehörde FDA das unter dem Namen Aduhelm vertriebene Medikament mit dem Wirkstoff Aducanumab zugelassen. Es gilt als erste Behandlungsmethode, die nicht nur Symptomen entgegenwirken, sondern das Voranschreiten der Krankheit verlangsamen soll und wird für Patienten im Frühstadium als Infusion angeboten. Die Nebenwirkungen sind nicht unerheblich. Die US-Zulassung wurde mit der Auflage erteilt, dass der Hersteller Biogen die Wirksamkeit mit einer weiteren Studie nachwiesen muss. Ein Antrag auf Zulassung in der EU wurde im Oktober 2020 bei der europäischen Arzneimittelagentur EMA gestellt. Mit einer Entscheidung wird bis Ende des Jahres gerechnet. Die gemeinnützige Alzheimer Forschung Initiative e.V. (AFI) rät Patientinnen und Patienten in Deutschland zur Vorsicht.
„Unstrittig ist zwar, dass Aducanumab wirksam die alzheimerspezifischen Eiweiß-Ablagerungen aus Beta-Amyloid im Gehirn entfernt. Ob damit aber die kognitiven Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten substantiell verbessert werden, konnten die widersprüchlichen Ergebnisse der beiden bisherigen Phase-3 Studien nicht zufriedenstellend belegen“, heißt es in einer Pressemitteilung des Vereins. Mit der Zulassung sollten keine falschen Hoffnungen geweckt werden: „Auch Aducanumab kann die Alzheimer-Krankheit nicht heilen, sondern verlangsamt den Gedächtnisabbau in einem geringen Ausmaß.“ Der Wirkung stünden „ernst zu nehmende Nebenwirkungen und eine aufwändige und engmaschige ärztliche Begleitung gegenüber“. Eine Nebenwirkung des Wirkstoffs seien Hirnschwellungen, die unerkannt zu Hirnblutungen führen können. Deshalb seien Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Zulassungsstudien in regelmäßigen Abständen mit bildgebenden Verfahren wie MRT untersucht worden.
2019 zwei klinische Studien abgebrochen
Tatsächlich hätten erste Untersuchungen zunächst vielversprechende Ergebnisse geliefert, berichtete die Ärzte Zeitung in ihrer Online-Ausgabe. 2019 aber seien zwei klinische Studien zur Erprobung von Aducanumab wegen fehlender Aussicht auf Erfolg abgebrochen worden. Ein internes Beratergremium der FDA habe sich gegen die Zulassung ausgesprochen, mehrere Wissenschaftler hätten Skepsis geäußert. Patientenorganisationen hätten sich jedoch für die Zulassung stark gemacht.
Geeignet scheint das neue Medikament nur für eine kleine Gruppe erst leicht beeinträchtigter, bei denen Amyloid im Hirn nachgewiesen worden sei, was teuer und aufwendig sei. Zum Effekt erklärte der vom Hamburger Abendblatt befragte Alzheimerforscher Prof. Tobias Hartmann: Im günstigsten Fall könne Aducanumab das Fortschreiten laut Studien innerhalb eines Zeitraums von 18 Monaten um etwa vier Monate verzögern.
Weltweit leiden etwa 30 Millionen Menschen unter Alzheimer. Laut Abendblatt werden die Entwicklungskosten für das neue Medikament auf vier Milliarden Dollar geschätzt, entsprechend hoch dürften die – vom Hersteller noch nicht angegebenen – Medikamentenkosten ausfallen, die in Fachkreisen auf 10.000 bis 60.000 Euro pro Jahr geschätzt würden. (hin)
Lesen Sie dazu auch den Meinungsbeitrag von Cornelia Stolze zum Thema Alzheimer-Forschung, den der EPPENDORFER 2019 unter dem Titel „Das große Versprechen“ in seiner Printausgabe veröffentlichte.