Selbstbewusst, unangepasst, mutig und mit einem begnadeten künstlerischen Talent gesegnet – so charakterisierten Weggenossen die 1899 geborene Elfriede Lohse-Wächtler, die 1940 im Rahmen der Aktion „T4“ in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet wurde. In Hamburg wurde ihr jetzt mit einer besonderen Wandbildaktion ein Denkmal gesetzt. Auch ein neuer Roman erinnert an den erschütternden Lebensweg der Künstlerin.
Die gemeinnützige Hamburger Wohnungs- und Vermietungsgesellschaft (gHWV) bietet im Elfriede-Lohse-Wächtler-Weg 39 a-c in Barmbek-Süd 33 Wohnungen an, die mit einem ortsüblichen Vertrag an psychisch erkrankte Menschen vermietet werden. Mit einer besonderen Aktion erinnerte die gHWV jetzt mit dem „Förderkreis Elfriede Lohse-Wächtler e.V.“ an die Namensgebern der Straße: Vincent Schulze verschönerte das Haus mit drei Wandbildern – zwei Selbstporträts Lohse-Wächtlers und ihr „Blick in den Hafen“.
Dagmar Fohl lässt „Frieda“ in ihrem Roman selber erzählen, von ihrem Auszug aus dem Elternhaus mit 16, ihrem Studium, den guten Jahren, als ihre Wohnung Treffpunkt des Dresdner Künstlerfreundeskreises um Conrad Felixmüller und Otto Dix wurde. Zur öffentlichen Präsentation der Wandbild-Arbeiten wurde auch die Autorin eingeladen.
Ehe steht unter einem schlechten Stern
Schicksalhaft wird der Tag, an dem Otto Dix ihr seinen Freund Kurt Lohse vorstellt. Sie heiraten 1921, obwohl schon zu diesem Zeitpunkt die Beziehung unter keinem guten Stern steht, und führen zunächst ein freies und ungebundenes Leben auf Pump, bis dies vom Gerichtsvollzieher beendet wird. Elfriede ist emotional von Lohse abhängig, obwohl der sie kleinmacht, finanziell ausnutzt und betrügt, ist es selbst dann noch, als der längst mit seiner Geliebten und zwei gemeinsamen Kindern zusammenwohnt. Lohses Vaterschaft ist für Elfriede Lohse-Wächtler, die aus wirtschaftlichen Gründen mehrfach abgetrieben und eine Fehlgeburt erlitten hatte, ein tiefer Schock.
Im Januar 1929 zeigen sich bei ihr mit übersteigerter Nervosität und Verfolgungswahn erste Symptome einer psychischen Erkrankung. Ihr Bruder und der Künstlerfreund Johannes Baader bringen sie am 4. Februar 1929 in die Staatskrankenanstalt Hamburg-Friedrichsberg. „Vielleicht habe ich mich versteckt, damit die Wirklichkeit mich nicht findet, ich sie nicht spüren muss“, analysiert Frieda im Roman.
Die Wirklichkeit, das waren Armut, Einsamkeit, Arbeitsüberlastung. In der Anstalt beginnt sie intensiv zu zeichnen und wird nach ihrer Entlassung nach sieben Wochen mit den „Friedrichsberger Köpfen“, Kopf- und Halbkörperporträts von Mitpatientinnen, die in einem Hamburger Kunstsalon gezeigt werden, über Nacht bekannt.
Endlich schafft sie es nun auch, sich von ihrem Mann zu trennen. Es folgen produktive Jahre, in denen sie in die Hamburger Halbwelt abtaucht. Elfriede Lohse-Wächtler zeichnet in Amüsierlokalen und Bordellen, porträtiert treffsicher das Milieu der Huren. Doch das Leben im gesellschaftlichen Randbereich führt zur Isolation und Vereinsamung. Psychisch geht es ihr immer schlechter, Selbstporträts zeigen ihren Verfall. Hinzu kommt Drogenmissbrauch und existenzielle Not: 1931 wird sie obdachlos, muss in Bahnhofswartehallen übernachten und wieder um Aufnahme in ihr Elternhaus bitten.
Dort flammen alte Spannungen wieder auf. Bald betreibt der Vater ihre Einweisung in die Landesanstalt Arnsdorf. 1932 wird sie eingeliefert, 1935 zwangssterilisiert, was ihre künstlerische Kreativität völlig zerstört, 1940 vergast.
„Mich berührte ihre Leidenschaft, mit der sie ihre Kunst ausübte. In allen Krisen hörte sie niemals auf zu malen“, sagte Dagmar Fohl bei der Vorstellung ihres Romans. Diese Leidenschaft ist in jeder Zeile zu spüren. Elfriede Lohse-Wächtlers wilde Persönlichkeit wird erlebbar, ihr privates Scheitern und der Weg in die Psychose anrührend erzählt. Ein Buch, das bis zur letzten Seite fesselt.
Michael Freitag
(Originalveröffentlichung in der EPPENDORFER-Printausgabe 6/2019)