Der Elmshorner Verein Wendepunkt nimmt den Weltflüchtlingstag am 20. Juni zum Anlass, zu zeigen, wie traumatisierten Flüchtlingen geholfen werden kann – mit einer Geschichte, die die Mitarbeiter sehr berührt habe. Wir geben die Mitteilung hier ungekürzt wieder.
„Der 10jährige Maiwand hatte ständig Angst – vor dem Alleinsein, vor der Dunkelheit und vor großen Männern – vor allem mit Bärten. Nachts litt er unter Albträumen, konnte kaum schlafen, und tagsüber hatte er oft unvermittelte Wutausbrüche. Schließlich kam der Junge ins Traumazentrum Elmshorn. Das Interdisziplinäre Traumazentrum ist eine Kooperation des Wendepunkt e.V. und der Kinder- und Jugendpsychiatrie Elmshorn.
Während der ersten Diagnosegespräche wurde schnell klar, dass der kleine Junge in seinem kurzen Leben schon einiges hat durchmachen müssen. Maiwand wurde in seinem Heimatland von den Taliban entführt und mehrere Tage gefangen gehalten. Nach seiner Freilassung ist seine Mutter mit ihm und seinen vier Geschwistern geflohen. Eine lange Irrfahrt quer durch Europa begann, über Russland bis nach Norwegen, bis die Familie schließlich in Deutschland, in Elmshorn, ein vorläufiges Zuhause fand.
,Flüchtlinge, die bei uns in Deutschland Schutz suchen, haben in ihren Heimatländern und auf der Flucht zum Teil oft unvorstellbare Erfahrungen gemacht’, so Diplom-Psychologe Dirk Jacobsen, Leiter des Wendepunktes. ,Hinzu kommen die vielen neuen Eindrücke in der ungewohnten Umgebung. Und in sehr vielen Fällen sind Familienmitglieder in den Heimatländern zurückgeblieben.’
In dem Traumazentrum beziehen sich ungefähr 35 % der Beratungen auf die Versorgung von Flüchtlingen. Eine Zahl, die seit Jahren unvermindert hoch bleibt. Zwar kommen momentan nicht so viele neue Flüchtlinge nach Deutschland. Aber oft wird erst einige Zeit nach ihrer Ankunft, wenn die ersten Fragen und Probleme geklärt sind, deutlich, dass die hochbelastenden Erfahrungen Spuren und tiefgreifende Verletzungen hinterlassen haben. Kinder und Jugendliche sind davon besonders betroffen. ,Sie sind verletzlicher und haben geringere Widerstandskräfte. Vor allem aber werden sie in ihrer Entwicklung gestört’, erklärt Jacobsen.
Die Behandlung psychischer Probleme ist nach Ansicht vieler Experten elementar, um den Menschen ein neues Leben und eine Eingliederung in unsere Gesellschaft zu ermöglichen. So machen zum Beispiel die Lehrkräfte der DaZ-Klassen (Deutsch als Zweitsprache) im Kreis Pinneberg die Erfahrung, dass viele ihrer Schüler und Schülerinnen belastet sind und deshalb Schwierigkeiten haben, sich auf das Lernen zu konzentrieren.
Maiwand geht es inzwischen, nach fast zwei Jahren Behandlung, viel besser. Nach der Diagnose und ersten Stabilisierung durch Traumapädagogen im Wendepunkt bekam er zusätzlich noch kunsttherapeutische Maßnahmen. Das gemeinsame Arbeiten mit seiner Kunsttherapeutin half Maiwand, sich auch jenseits der Sprachgrenze auszudrücken und sich mit seiner Identität und seinen Ressourcen auseinanderzusetzen. ,Auch wenn Maiwand noch gelegentlich an die Entführung denkt, weiß er jetzt, dass diese in der Vergangenheit liegt. Seine Schlafstörungen und Albträume sind zurückgegangen und Maiwand ist mittlerweile sehr selbstständig geworden’, berichtet Sophie Firle, Kunsttherapeutin beim Wendepunkt. Zum Abschied hat Maiwand ihr einen Brief geschrieben. ,Tausend Dank für die Mühe, die du mir gegeben hast“ steht da. „Ich habe keine schlechten Träume mehr. Danke für diese tolle Zeit – ich werde das niemals vergessen!'”