Alte und kranke Menschen kommen oft kaum noch vor die Tür, geschweige denn aufs Fahrrad. Die Initiative „Radeln ohne Alter” möchte das ändern und bietet Rikscha-Fahrten für Senioren an. Eine Tour durch Deutschland wirbt nun für das Projekt.
Gertrud Fischer geht alles viel zu langsam. Schon kleinste körperliche Anstrengungen bringen die lungenkranke Seniorin außer Atem. „Ich muss mich immer selbst bremsen”, sagt die 73-Jährige. Doch seit ein paar Monaten kann Gertrud Fischer zumindest stundenweise wieder so schnell sein, wie sie es früher gewohnt war. Dann steigt sie in eine Fahrrad-Rikscha und lässt sich von Wolfgang Erlinghäuser durch Bonn fahren. „Ich bin begeistert!”, sagt die Seniorin. „So sehe ich viel mehr als wenn ich mit dem Rollstuhl gefahren werde.”
Die Idee der Rikscha-Fahrten für Senioren stammt aus Dänemark. Mittlerweile gibt es in Deutschland 18 „Radeln ohne Alter”-Vereine zwischen München und Hamburg. In Bonn startete am Mittwoch eine vierwöchige Deutschland-Tour des Bonner Vereins. Die ehrenamtlichen Fahrer wollen unterwegs an 28 Stationen auf „Radeln ohne Alter” aufmerksam machen, etwa in Bad Ems, Marburg, Kassel, Goslar, Dessau, Quedlinburg, Wittenberg und Potsdam. An den einzelnen Stationen bieten sie Rikscha-Fahrten für Senioren an. Am 3. Oktober wollen sie in Berlin eintreffen.
Gertrud Fischer ist eine von zehn Seniorinnen und Senioren aus dem Bonner Perthes-Heim, die regelmäßig an den Rikscha-Fahrten des Vereins „Radeln ohne Alter Bonn” teilnehmen. Die rund 20 ehrenamtlichen Fahrer des Vereins im Alter zwischen Anfang 20 und Ende 60 sind seit anderthalb Jahren regelmäßig mit vier Rikschas im Stadtgebiet unterwegs.
„Die Idee war, Jung und Alt zusammenzubringen”, sagt die Mitgründerin der Bonner Initiative, Natalie Chirchietti. Viele alte Menschen kämen kaum noch vor die Tür. Für sie seien die Rikscha-Fahrten eine Möglichkeit, einmal wieder raus zu kommen und am öffentlichen Leben teilhaben zu können, erzählt die 27-Jährige.
„Es ist einfach toll. Ich bin dadurch an den Rhein gekommen, konnte die Schiffe und das Siebengebirge mal wieder sehen”, schwärmt Gertrud Fischer. „Und wir fahren auch in den Botanischen Garten. So was bekäme ich sonst gar nicht zu sehen.”
Ihrem Fahrer, Wolfgang Erlinghäuser, machen die Rikscha-Ausflüge ebenso Spaß. „Ich freue mich, dass ich helfen kann und es tut mir selbst auch gut”, sagt der pensionierte Lehrer. Er wünscht sich, dass noch mehr Menschen bereit wären, sich zwei bis drei Stunden in der Woche ehrenamtlich im Seniorenheim zu engagieren. „Das Pflegepersonal hat ja überhaupt keine Zeit, einmal mit den alten Menschen an die frische Luft zu gehen.”
Die Idee zu den Rikscha-Fahrten stammt von dem Kopenhagener Ole Kassow, der selbst jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt. Er ergriff 2013 die Initiative, mit einer gemieteten Rikscha Bewohner eines Seniorenheims spazieren zu fahren. Der Erfolg und die Nachfrage waren so groß, dass die Fahrten in Dänemark mittlerweile von Vereinen in rund 100 Städten und Gemeinden angeboten werden. Schnell wurde die Idee auch im Ausland aufgegriffen und es bildeten sich Rikscha-Initiativen in weltweit knapp 30 Ländern.
Alle Fahrer von „Radeln ohne Alter”arbeiten ehrenamtlich, so dass die Fahrten für die Senioren kostenlos sind. Die Anschaffung der Fahrrad-Rikschas ist allerdings mit 7.000 bis 8.000 Euro pro Stück nicht ganz billig. Finanziert werden sie in der Regel durch Spenden.
Chirchietti betrachtet die Rikscha-Fahrten nicht nur als reine Service-Leistung für die Senioren. „Wir bekommen auch sehr viel zurück”, sagt die junge Frau. Die Fahrten seien eine Möglichkeit, miteinander ins Gespräch zu kommen und voneinander zu lernen. Viele alte Menschen hätten interessante Geschichten zu erzählen. „Einige der Passagiere sind mittlerweile zu Freunden geworden.” Claudia Rometsch (epd)