Mit seinem Credo „sexuelle Vielfalt ist weder Sünde noch Symptom, sondern Teil des Mensch- seins“ bereitete der Arzt und Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld vor über 100 Jahren den Weg für mehr Akzeptanz der sexuellen Vielfalt. Rolf Brüggemann und Patricia Bollinger machten sich für unsere Serie „Psychiatrie macht Geschichte“ in Berlin auf die Spuren des Mediziners.
Um uns herum buntes Gedränge: Glitzer, Schmetterlingsflügel, Musik, Regenbo-
genfahnen. Heute ist Christopher-Street-Day in Berlin. Schwule und Lesben demonstrieren für ihre Lebensform. Aber nicht nur in der Hauptstadt wird demonstriert, auch in vielen anderen Städten in ganz Deutschland ist Pride Month.
Wir radeln entlang der Spree Richtung Bundeskanzleramt. Da fällt uns das bunte Denkmal für die erste homosexuelle Emanzipationsbewegung auf. Auf der anderen Spree- seite ist das Haus der Kulturen der Welt. Hier hatte der Arzt Magnus Hirschfeld 1919 sein Institut für Sexualwissenschaft gegründet – das erste weltweit.
Mit seinem Credo „sexuelle Vielfalt ist weder Sünde noch Symptom, sondern Teil des Menschseins“ bereitete Hirschfeld vor über 100 Jahren den Weg für mehr Akzeptanz der sexuellen Vielfalt. Der Arzt wollte medizinische Forschung, Beratung und Aufklärungsarbeit verbinden.
Männliche Homosexualität war damals noch strafbar – so setzte sich Hirschfeld für die Abschaffung des §175 ein. Doch es ging ihm um so viel mehr. Hirschfeld setzte sich für echte Aufklärung ein, kämpfte gegen Vorurteile, Halbwissen, versteckte Ängste, Scham, Ausgrenzung. „Nicht die Homosexualität ist das Problem, sondern die Intoleranz, mit der ihr begegnet wird.“ Er setzte sich gegen „Umpolungstherapien“ ein. Stattdessen anerkannte er die Menschen mit ihrer Sexualität und stärkte sie psychologisch. In sein Institut kamen viele Menschen mit unterschiedlichen Problemen. Allen gemein dürfte wohl gewesen sein, dass ihre Körper, ihre Sexualität, ihre Wahrnehmung nicht der „Norm“ entsprachen und als sittenwidrig, sogar als unnatürlich galten. Hirschfeld aber postulierte früh: „Man sollte nicht gegen die Natur ankämpfen – sondern gegen die Vorurteile über sie.“
Als Experte für Sexualwissenschaften bereiste er die Welt und erlangte Berühmtheit
So fächerte sich sein Betätigungsfeld weit auf. Er beriet Eheleute bei Affären oder in Verhütungsfragen, Menschen bei der geschlechtlichen Identitätssuche und mit sexuellen Problemen jeglicher Art. Als Experte auf dem Gebiet der Sexualwissenschaften bereiste er die Welt, erlangte Berühmtheit, feierte Erfolge.
Doch dann übernehmen 1933 die Nationalsozialisten die Macht. Unmittelbar wird verfolgt, was nicht dem NS-Ideal entspricht. Hirschfeld ist ein prominentes Ziel: Jude, homosexuell und Sozialist. Anfang Mai wird sein Institut von der SA und Studenten gestürmt und geplündert. Medizinische Akten und Forschungsergebnisse werden beschlagnahmt, seine Bibliothek wird auf dem später nach August Bebel benannten Platz bei der Oper ins Feuer geworfen (heute Gedenkort zur Bücherverbrennung vom 10. Mai 33).
Nach Instituts-Plünderung: Flucht bis nach Nizza
Magnus Hirschfeld befand sich auf einer Vortragsreise im Ausland und flüchtete nach Ascona, Paris und Nizza. Er starb 1935 im Exil. Kurz darauf markierten die Nazis tausende Homosexuelle mit dem Rosa Winkel, brachten sie in Konzentrationslager, ermordeten sie.
Noch bis 1994 war Homosexualität in der BRD (§ 175) strafbar und wurde von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bis 1990 als psychische Krankheit angesehen.
Im heute nicht mehr existierenden Erotik Museum der Sexualaufklärerin Beate Uhse beim Bahnhof Zoo war ein Raum Magnus Hirschfeld gewidmet, in dem der Zusammenhang von Politik und Sexualität thematisiert wurde.
In Berlin finden wir ein Schwulenmuseum und den Sitz der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und mehr in unserer Nähe: in Schwäbisch Gmünd noch bis Ende Oktober Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema: Wish you were QUEER. (Originalveröffentlichung im EPPENDORFER 5/25)