Berührend – Annäherung
an ein Bedürfnis

Stephan Balkenhol, Tanzende Paare, 1999, Museum MMK für Moderne Kunst, erworben mit großzügiger Unterstützung durch zehn Patenschaften und einer Schenkung des Künstlers. Foto: VG Bild-Kunst, Bonn, 2020

Berührungen sind nach den Worten des Bremer Psychiaters und Philosophen Peter Bagus (56) “extrem wichtig” für den Menschen. Sie seien wesentlich für das Wohlbefinden, “vom Kleinstkind an”, sagte der Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Klinikum Bremen-Ost dem Evangelischen Pressedienst (epd). “Über Berührungen entstehen Nähe und Vertrauen, letztlich ein Gefühl von Geborgenheit, von Dazugehörigkeit.” Insofern liege in den Corona-Beschränkungen “eine große Gefahr”, warnte der Mediziner.

Mit einer Ausstellung will das Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen zeigen, wie wichtig Berührungen für Menschen als soziale Wesen sind – und als Motiv in der Kunst. Das Immunsystem werde durch Berührungen gestärkt und Stress abgebaut, erläuterte Bagus. “Wichtig dabei ist das Oxytocin, auch bekannt als Kuschel- oder Bindungshormon. Das spielt bei der Physiologe der Berührungen genauso wie im Stress-Stoffwechsel eine Rolle.” Im Endeffekt heiße das, ohne Berührungen wachse der Stress, und die Tendenz zu aggressiven Verhaltensweisen nehme zu.

Corona-Beschränkungen seien insbesondere für Menschen gefährlich, die eher isolierter lebten, sagte der Facharzt. Für eine gewisse Zeit seien die Abstandsregeln als Ausnahme sicher gut nachvollziehbar, verstehbar und würden von den Menschen auch so angenommen. Aber: “Langfristig macht es krank.” Das könne bis zu Depressionen führen.

Bagus hofft auf einen passenden Impfstoff, damit die Corona-Kontaktbeschränkungen “vielleicht Mitte nächsten Jahres” zurückgenommen werden könnten. Wenn das nicht gelinge und das Virus die Gesellschaft noch viele Jahre begleite, werde man “immer wieder schauen müssen, wie man es regelt”. Denn auf Nähe könne der Mensch nicht verzichten. “Und auf Berührungen auch nicht.” Symbolisch berührt zu werden, beispielsweise über einen Telefonanruf oder durch Begegnungen und Blicke, könne zwar helfen. Es könne reale Berührungen aber nicht kompensieren.

Wie wichtig echte Berührungen sind, zeigen Bagus zufolge die Krankengeschichten einer ganzen Reihe junger Männer, die in seine Klinik kommen. Sie entwickelten Ängste, weil sie es nicht mehr gewohnt seien, sich außerhalb der eigenen vier Wände zu bewegen. “Sie gestalten ihre Kontakte ausschließlich im Internet, herkömmliche Begegnungen erzeugen bei ihnen Stress. Der Mensch, der nur noch digital lebt, bleibt nicht gesund.”

So sehr die Abstandsregeln wichtig seien, so wichtig seien eben auch Berührungen. “Es bleibt ein Balanceakt zwischen Schutzvorschriften, Verzicht auf Berührung und Distanz einerseits und gleichzeitiger Angewiesenheit auf Berührung andererseits.” Bagus hofft, “dass wir mit diesem Dilemma nicht zu lange leben müssen”. epd-Gespräch: Dieter Sell

Ausstellung zeigt mehr als 60 Werke

Die Ausstellung “Berührend – Annäherung an ein wesentliches Bedürfnis” zeigt mehr als 60 Kunstwerke aus den unterschiedlichsten Epochen, vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Darunter sind Gemälde, Skulpturen, Fotografien und Videos, die nicht nur in der Darstellung körperlicher Nähe Berührung zeigen, sondern in einer Doppeldeutigkeit des Ausstellungsthemas auch emotional bewegen wollen. So sind bis zum 24. Januar in sechs Themenräumen Arbeiten zu sehen, die unterschiedliche Aspekte thematisieren wie Distanz und Nähe, Selbstberührung, Fürsorge, Zärtlichkeit und Grenzüberschreitungen. Ergänzend verdeutlichen Zitate, Texte und Videos von Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen den Stellenwert der Berührung für die heutige Gesellschaft. Darunter sind ein Masseur, der die heilende Wirkung der Berührung erklärt, und ein Theologe, der über die berührende Kraft der Worte im Glauben redet. (epd/rd)

Ausstellung “Berührend – Annäherung an ein wesentliches Bedürfnis” vom 19. September bis 24. Januar im Paula Modersohn-Becker Museum Bremen, Böttcherstraße 6. Das Haus ist dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet. www.museen-boettcherstrasse.de