Zwischen Leben und Tod

Am Donnerstag, bei der Abstimmung über Gesetzentwürfe zum assistierten Suizid, dürfte es im Plenarsaal des Bundestages voll werden. Foto: Makrodepecher  / pixelio.de

Unmittelbar vor der Sommerpause kommt auf die Abgeordneten des Bundestages noch eine im wahrsten Sinne des Wortes lebensentscheidende Abstimmung zu: Es geht um eine Regelung der Suizidbeihilfe, die am Donnerstag, 6. Juli, ab 9 Uhr u.a. auf www.bundestag de live übertragen wird. Nach 90-minütiger Debatte in 2.und 3. Lesung steht die Abstimmung an, für die der Fraktionszwang aufgehoben ist. Vorab ist völlig offen, wie diese ausgehen könnte.

Zur Abstimmung stehen inzwischen nur noch zwei Gesetzentwürfe, da sich die Gruppen für eine liberale Regelung um die Parlamentarierinnen Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) zusammengetan haben.
Sie schlagen vor, Sterbewilligen den Zugang zu tödlich wirkenden Medikamenten zu ermöglichen, wenn sie zuvor eine Beratung in Anspruch genommen haben. In Härtefällen – wenn sich jemand “in einem existenziellen Leidenszustand mit anhaltenden Symptomen” befindet – soll ein Arzt auch ohne Beratung die Mittel verschreiben dürfen. Einen Anspruch darauf soll es aber nicht geben. Findet sich kein Arzt, der zur Verschreibung der Mittel bereit ist, soll die im jeweiligen Bundesland zuständige Behörde die Erlaubnis zum Erwerb des Mittels erteilen. Voraussetzung für die Hilfe bei der Selbsttötung soll dem Entwurf zufolge Volljährigkeit und der Nachweis eines autonom gebildeten, freien Willens sein.

Zweite Gruppe will psychisch Kranke schützen

Die zweite Gruppe um Lars Castellucci (SPD) will die organisierte Hilfe bei der Selbsttötung im Strafrecht verbieten, unter Bedingungen aber erlauben. So müsse der Wille zur Selbsttötung durch einen nicht daran beteiligten Facharzt oder eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie bestätigt werden, heißt es in dem von den SPD-Abgeordneten initiierten Entwurf. Diese Experten sollen außerdem bestätigen, dass eine psychische Erkrankung die Entscheidung für einen Suizid nicht beeinflusst habe. Dazu werden zwei Termine mit einem Mindestabstand von drei Monaten vorausgesetzt. Die Unterstützer des SPD-Antrags fürchten, eine zu lasche Regelung könne den Druck auf die Betroffenen, den Suizid tatsächlich zu vollziehen, erhöhen. Gerade für psychisch Kranke könne das eine Gefahr darstellen, warnt etwa die Psychiaterin Kirsten Kappert-Gonther von den Grünen. „Ein vollendeter Suizid ist unumkehrbar, Suizidgedanken sind aber in der Regel volatil, schwankend, und entwickeln sich im Kontext der Lebenssituationen“, sagt sie.

Kritik aus der Ärzteschaft und von Verbänden

In der Ärzteschaft und bei Fachgesellschaften wie der DGPPN stießen die Gesetzentwürfen und insbesondere der liberale auf Ablehnung. „Der Entwurf wird der Komplexität von Suizidgedanken und Suizidhandlungen nicht gerecht“, kritisierte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK) , und er berge strafrechtliche Risiken für die beteiligten Ärzt:innen. Wenn er Gesetz werde, werde die BÄK der Ärzteschaft empfehlen, nicht an der Umsetzung mitzuwirken. Vor einer „gravierenden Gefährdung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen“ durch die Pläne der Helling-Plahr/Künast-Gruppe warnte DGPPN-Präsident Andreas Meyer-Lindenberg. Der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), Heiner Melching, äußerte die Befürchtung, dass vor allem der Castellucci-Entwurf am Ende die Sterbehilfevereine stärke, weil diese die strengen Bedingungen schon erfüllten, „und dass die Zahl der Suizide steigen wird“. Kein Gesetz sei „besser als jeder der vorliegenden Entwürfe“.

Auch Patientenschützer warnen vor gesetzlicher Regelung

Auch Patientenschützer warnen davor, Angebote zur Sterbehilfe in Deutschland gesetzlich zu regeln. “Die organisierte Hilfe zur Selbsttötung lässt sich nicht durch ein Gesetz regeln”, sagte Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die Selbstbestimmung der Sterbewilligen und der Schutz vor Fremdbestimmung seien viel zu komplex, um sie in Paragrafen zu pressen. Es sei darüber hinaus ein „Irrglaube”, dass autonome Entscheidungen durch Pflichtberatungenv allgemeingültig überprüfbar wären.
Brysch beklagte in diesem Zusammenhang, dass Psychotherapie und würdevolle Pflege oder Therapie für viele sterbenskranke, lebenssatte, psychisch kranke oder depressive Menschen weiter unerreichbar seien. “Suizidprävention bleibt somit viel zu häufig auf der Strecke”, sagte er.

Beide Gruppen haben auch einen jeweils eigenen Entschließungsantrag zur Stärkung von Svizidprävention eingebracht. Alle Entwürfe finden sich auf der Homepage der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin.

Verfassungsgerichtsurteil von 2020 machte neue Diskussion nötig

Hintergrund der Abstimmung: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 geurteilt, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch das Recht umfasst, hierbei Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Eine bis dahin geltende Regelung, die organisierte Suizidassistenz von Sterbehilfeorganisationen verboten hatte, erklärte das Gericht für nicht zulässig. Die Beihilfe zum Suizid sei straffrei, wenn die Entscheidung dazu „freiverantwortlich“ getroffen wurde. Der Staat könne aber Missbrauch verhindern und klare Vorgaben für die Sterbehilfe machen.
In der Folge hatte auch die Ärzteschaft ihr Standesrecht geändert, das Ärzten nun die Verschreibung von Mitteln auch zum Zweck der Selbsttötung erlaubt. Das Betäubungsmittelgesetz verbietet das allerdings weiterhin.

Tötung auf Verlangen bleibt verboten, passive Sterbehilfe bleibt erlaubt

Die Hilfe bei der Selbsttötung – der sogenannte assistierte Suizid – ist eine besondere Form der Sterbehilfe, die sich in einer rechtlichen Grauzone bewegt. Erlaubt oder sogar geboten ist in Deutschland die passive oder indirekte Sterbehilfe durch das Abschalten von Geräten oder Zulassen von Sterbefasten. Explizit verboten ist dagegen die Tötung auf Verlangen, bei der ein tödlich wirkendes Medikament durch einen Dritten verabreicht wird. Beim assistierten Suizid nimmt der Sterbewillige das Mittel selbst ein. (rd/epd)

Ausführliche Berichterstattung über das Ergebnis der Abstimmung und die Folgen – insbesondere für die Psychiatrie – lesen Sie in der Ausgabe 5/23, die Anfang September erscheint.