VR zeigt, wie sich
Depression anfühlt

Etwa zehn Minuten dauert die Virtual-Reality-Sequenz, mit der Depression simuliert wird. Foto: screenshot/youtube.de

Laut Stiftung Deutsche Depressionshilfe erkranken 5,3 Millionen Menschen im Laufe ihres Lebens an einer Depression. Wie fühlen diese Menschen sich? Was geht in Ihnen vor? Die Robert-Enke-Stiftung will das erfahrbar machen – mittels Virtual Reality.

Ein trüber Tag, der Regen klopft ans Fenster. Tageslicht ist rar, die Wohnung schummrig. Das Wohnzimmer ist unordentlich, Schuhe liegen herum. Die Stimme aus dem Off klingt schleppend: „Ich muss aufräumen, Wäsche waschen, meine Mails checken, aber ich bin so müde, ich schaffe ja nicht einmal aufzustehen.“ Szenenwechsel: Das Wohnzimmer wird vom Fußboden verschluckt, es bildet sich ein grauer Tunnel. Es ist eng, die Betondecke drückt von oben, die Wände von der Seite. Wieder die Stimme: „Es ist doch alles sinnlos.“ „Ich bin nur eine Last.“ „Ich bin so unglücklich.“ Worte tauchen auf. „Leere“ steht am Ende des Tunnels.

Etwa zehn Minuten dauert die Virtual-Reality-Sequenz, mit der die Robert-Enke-Stiftung die Volkskrankheit Depression aus der Tabuzone holen, für Verständnis werben und für Nichtbetroffene erfahrbar machen will. Vorstandsvorsitzende der 2010 gegründeten Stiftung mit Sitz in Barsinghausen ist Teresa Enke, Witwe des Fußball-Nationaltorwarts Robert Enke, der sich wegen seiner Depressionen 2009 das Leben nahm.

Zehn-Kilo-Bleiwüste und VR-Brille

Die VR-Erfahrung endet zwar mit lebensbejahenden Bildern von Kindern, fröhlichen Paaren und idyllischen Naturimpressionen. Und doch wirkt das Gesehene nach – auch nachdem VR-Brille und Kopfhörer abgelegt sind. Und das liegt nicht nur an der Zehn-Kilo-Bleiweste, die den Zuschauer buchstäblich zu Boden drückt, sondern an den Bildern, die nicht so schnell aus dem Kopf verschwinden. Aufsetzen sollen die VR-Brille der Stiftung zufolge deswegen auch nur Menschen, die keine Disposition in Richtung Depression oder Angsterkrankung haben.

Stiftungsmitarbeiter Tillmann Cassier sowie der Psychologe Alexander Hessel haben die 360-Grad-Virtualisierung „Impression Depression“ in Zusammenarbeit mit VR-Experten entwickelt. Es gehe darum, mit Depression offen umzugehen und die Krankheit für Angehörige, Freunde, Kollegen greifbar zu machen, sagen sie. „Was wir zeigen, ist aber natürlich nur eine Annäherung, eine Facette, individuell verlaufen Depressionen sehr unterschiedlich“, sagt Cassier.

Und doch gebe es eine Schnittmenge, Wahrnehmungen, von denen Betroffene gleichermaßen berichten – unter anderem das Gefühl, sich in einem Tunnel zu befinden, müde, antriebsarm und mit den kleinsten Alltagsverrichtungen überfordert zu sein, schlecht zu schlafen, keine Lebensfreude zu empfinden.

Vorgestellt wurde die VR-Brille bereits im Oktober 2019 im Beisein von Teresa Enke und dem damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in Berlin. „Doch dann kam Corona und wir wurden ausgebremst“, sagt Stiftungsmitarbeiter Gianluca Maione. Erst Mitte letzten Jahres sei „Impression Depression“ bundesweit auf Tour gegangen.

„Auch beim FC Bayern waren wir schon”

Maione ist einer von 14 Psychologiestudenten bundesweit, die das Projekt begleiten. Nach Angaben der Initiatoren buchten bereits namhafte Unternehmen wie der Energiekonzern RWE, der Automobilhersteller BMW und der Industriekonzern Thyssenkrupp die VR-Erfahrung, um ihre Mitarbeiter im Rahmen von Mental-Health-Days für das Thema Depression zu sensibilisieren. „Und auch beim FC Bayern waren wir schon“, sagt Maione.

Denn außer den Gedanken und Gefühlen des depressiven Menschen in seiner apokalyptisch anmutenden Wohnung bietet das Virtual-Reality-Projekt eine zweite 360-Grad-Sequenz, die den Druck im Leistungssport thematisiert. Gezeigt wird eine Umkleidekabine kurz vor Anpfiff eines Fußballspiels. Robert Enke spricht aus dem Off. Seine Aussagen, sagt Maione, beruhten unter anderem auf Tagebucheinträgen.

Enkes Stimme in der VR-Sequenz klingt dumpf und monoton. Sein Kopf fühle sich an wie Blei, sagt er monoton. Fünf oder sechs Nächte lang habe er nicht geschlafen, die Situation werde immer schlimmer. Wie, so fragt er sich voller Angst, solle er nur herausgehen und spielen?

„Robert Enke hat mal zu Teresa gesagt, er wünsche sich, dass sie einmal in seinem Kopf sein könnte“, sagt Jan Baßler, Geschäftsführer der Robert-Enke-Stiftung. Ein wenig ermöglicht das Projekt „Impression Depression“ das.

Julia Pennigsdorf (epd)